Watchmen #2: Absent Friends

watchmen #2 cover

DC Comics

Jedes zweite Kapitel von Watchmen ist der Vorgeschichte einer Hauptfigur gewidmet. Im zweiten Heft ist es der Comedian. Der ermordete Edward Morgan Blake wird zu Grabe getragen, er bekommt ein Ehrenbegräbnis samt US-Flagge, Daniel Dreiberg (Nite Owl) und Jon Osterman (Dr. Manhattan) erweisen dem ehemaligen Weggefährten die letzte Ehre, aber eher aus Pflichtgefühl. Insofern zeigt das Titelbild passenderweise einen Engel, der durch den Regen nur falsche Tränen weint.

Parallel dazu besucht Laurie ihre Mutter, Sally Jupiter, die ehemalige Silk Spectre, im Altenheim. Sally stellt zwei Analogien zur Friedhofsszene her: Zuerst indem sie Laurie für ihre Schönheit lobt, was man zunächst auf die Engelsstatue beziehen kann und damit auch Lauries Traurigkeit vorweggenimmt. Dann nennt Sally ihr Heim „City of Dead“. Laurie schafft die dritte Parallele, indem sie ihrer Mutter rote Blumen mitbringt, während der Ex-Schurke Moloch rote Rosen auf Blakes Grab legt. Wirken sie zunächst als Liebesbeweis, stehen sie am Ende für das Blut, das bei seinem Mord vergossen wird. Aber in der Folge erfahren wir auch, dass Blake selbst viel Blut vergossen hat.

Während Laurie ihrer Mutter nicht sagen will, bei wessen Beerdigung Jon ist, weiß Sally Bescheid und erinnert sich an „poor Eddie“. Laurie macht ihr Vorhaltungen, aber ihre Mutter beharrt darauf, dass sie zu jung sei, um zu wissen, dass sich Dinge ändern: „What happened years ago … it’s history.“ (S. 1) – „Yeah, well, so’s Dachau. I’d never forgive somebody who did that …“, sagt Laurie.

Es war nicht alles schlecht

Aber Sally sieht die Vergangenheit in einem anderen Licht. Sie stört sich auch nicht daran, dass sie von einem Verehrer eine Tijuana Bible (einen Porno-Comic) geschickt bekommt, in der sie selbst auftritt. Im Gegenteil: Sie fühlt sich sogar geschmeichelt, weil es sie daran erinnert, jung und gesund gewesen zu sein.

Watchmen: Comedian & Sally Jupiter

Der Comedian versucht, Sally Jupiter zu vergewaltigen.

In der Folge sehen wir Szenen aus Blakes Vergangenheit als Comedian: Nach einem Foto-Shooting der Minutemen versucht Blake, Sally zu vergewaltigen. Er misshandelt sie schwer, nachdem sie ihn zurückweist und ihm das Gesicht zerkratzt. Doch als er sie missbrauchen will, greift der Held Hooded Justice ein. Der macht ihr am Ende indirekt Vorwürfe, es drauf ankommen lassen zu haben: „And for God’s sake, cover yourself.“

watchmen: crimebusters

Captain Metropolis versucht, die Crimebusters zu gründen.

Jahre später, in den 60ern, versucht Captain Metropolis, die Superheldengruppe Crimebusters zu gründen. Mit dabei sind Dr. Manhattan, Ozymandias, Nite Owl, Rorschach, Silk Spectre II und der Comedian. Captain Metropolis ist ein Überbleibsel der Minutemen. Er will gegen neue Übel vorgehen: Promiskuität, Drogen, Studentenproteste (campus subversion, anti-war demos), aber auch gegen „black unrest“ – eine klare konservative bis rassistische Haltung.

Der Comedian verbrennt die Karte der USA.

Der Comedian erteilt dem Vorhaben eine Absage, aber nicht aus edlen Motiven heraus, sondern weil seiner Meinung nach Superhelden die Probleme der Welt nicht mehr lösen können. „What’s going down in this world, you got no idea. (…) You people are a joke.“ Superschurken zu jagen nütze nichts, weil in den nächsten 30 Jahren die Atombomben alles einäschern werden. Symbolisch verbrennt der Comedian die Karte der USA, die Captain Metropolis aufgehängt hat.

Comedian als Teufel und Joker

Der Comedian trägt in den 40ern noch einen gelben Overall. Statt des Smiley-Buttons (das Motiv war damals noch nicht erfunden) hat er am Gürtel eine rote lachende Theatermaske, die in der Sequenz der versuchten Vergewaltigung wie eine Teufelsmaske wirkt, die zynisch lacht. Spätestens hier ist aber auch eine Parallele zum Batman-Schurken Joker zu sehen.

In den 60ern trägt Blake eine schwarze Kampfmontur. An seinen Schultern prangen Elemente der US-Flagge: rechts der weiße Stern auf blauem Grund, links die rot-weißen Streifen. Einerseits ein Symbol für Patriotismus, andererseits sind die Elemente der Flagge geteilt, als wäre die Flagge zerrissen.

Dr. Manhattan und Comedian in Vietnam.

Erst später, im Vietnam-Krieg, trägt der Comedian den gelben Button – aber dafür keine Maske mehr. Als der Krieg zu Ende ist, will ihn eine Vietnamesin, die von ihm schwanger ist, zur Verantwortung ziehen. Blake erteilt ihr eine Absage und will das Land ohne sie verlassen. Sie zerschneidet ihm mit einer abgebrochenen Flasche das Gesicht und er erschießt sie daraufhin.

Dr. Manhattan sieht dabei zu. Als er sagt, was Blake getan hat, wirft Blake ihm vor, trotz seiner Allmacht den Mord nicht verhindert zu haben: „You coulda changed the gun into steam or the bullets into mercury or the bottle into snowflakes! You coulda teleported either of us to goddamn Australia … but you didn’t lift a finger! You don’t really give a damn about human beings.“ Der Comedian wird zum Narr, der die Wahrheit spricht. Auch wenn er selbst moralisch nicht überlegen ist, urteilt er über Dr. Manhattan, weil er wegen seiner Kräfte ein besserer Mensch sein könnte, aber von seiner Möglichkeit nicht Gebrauch macht.

Watchmen: Nite-Owl und Comedian

Watchmen: Nite-Owl und Comedian

In den 70ern trägt der Comedian eine Ledermaske, die sein Gesicht verhüllt. (Dieselbe, die Rorschach in Watchmen #1 gefunden hat.) Zusammen mit Nite Owl geht er gegen einen Aufstand in New York vor, der sich gegen Superhelden richtet. (Wieder erscheint der Schriftzug „Who watches the watchmen?“ als Graffito auf einer Wand.) Der Comedian hat sichtlich Spaß daran, gegen Zivilisten vorzugehen. Er sieht seine Aufgabe im Schutz der Leute. Vor wem? Vor sich selbst. Als Nite Owl fragt, was mit dem Amerikanischen Traum passiert sei, sagt Blake: „It came true. You’re lookin‘ at it.“

Der Amerikanische Traum ist in der Unabhängigkeitserklärung als Gleichheit, Freiheit und dem Streben nach Glück definiert. Oder, wie es der Autor und Historiker James Truslow Adams 1931 schreibt: „life should be better and richer and fuller for everyone, with opportunity for each according to ability or achievement“. In seiner Rücksichtslosigkeit erscheint Blake zunächst als das genaue Gegenteil davon. Er aber hat sein Glück gefunden oder hat sich zumindest mit der Rolle abgefunden, die er als Comedian spielt. Zugleich stellt er als Zerrbild der amerikanischen Ideale dar, was aus den Idealen 200 Jahre nach der Gründung des Staates geworden ist: Es ist nicht mehr viel übrig davon. Der Traum, so könnte man es verstehen, ist wahrgeworden als Alptraum. Mit seinem Stars-and-Stripes-Kostüm ist der Comedian eine Art pervertierter Captain America. Er bewahrt den Status quo einer zerfallenden Nation.

Comedian bei Moloch

Was ist so witzig? Comedian bei Moloch

Doch später erzählt der Ex-Schurke Moloch Rorschach, dass Blake ihn kurz vor seinem Tod aufgesucht und von einer anderen Seite gezeigt habe. Er weint, zeigt sich reumütig, weil er Frauen und Kinder getötet hat, aber auch weil er etwas Furchtbares herausgefunden hat und die Pointe davon nicht versteht: „I mean, what’s funny? What’s so goddamed funny? I don’t get it. Somebody explain … Somebody explain it to me.“

Der Comedian lacht nicht mehr, er hat seinen Humor verloren. Die Grausamkeit, die ihm einst Freude bereitet hat, hat ein so großes Ausmaß erreicht, dass er selbst davon überfordert ist. Das Szenario ist anscheinend schlimmer als der nukleare Holocaust. Er ist so erschüttert, dass es die Moral wieder in ihm weckt. Wer zuletzt lacht, ist ein anderer – vielleicht auch niemand. Es wird klar: Der Comedian musste sterben, weil er ein Geheimnis entdeckt hat. „Funny story. Sounds unbelievable. Probably true“, sagt Rorschach. Für den abgebrühten Außenseiter ist das Absurde das Wahre.

Die wahren Comedians sind die anderen

Im Epilog streift er angewidert durch das Rotlichtviertel, eine Prostituierte spricht ihn an. „Was offered swedish love and french love … but not American love. American love –, like coke in green glass bottles … They don’t make it anymore.“ Die „amerikanische Liebe“ ist im Gegensatz zum amerikanischen Traum nicht definiert, insofern wird Rorschachs Monolog zum Abgesang auf die Liebe im Land. Und trotzdem heißt es kurz darauf, in Bezug auf den Fall: „Nothing is insoluble. Nothing is hopeless. Not while there′s life.“

Rorschach glaubt noch an menschliche Werte. Während er tagsüber als Walter Kovacs vor dem Friedhof sein Schild hochgehalten hat, bricht er bei Nacht auf das Gelände ein, um dem Comedian die letzte Ehre zu erweisen. Er bedauert, dass ein Leben voller Konflikte einem die Zeit für Freunde nimmt, sodass am Ende nur die Feinde wie Moloch einem Rosen ans Grab bringen. Aber die Entbehrung ist für ihn ein notwendiges Übel.

In Rorschachs Deutung hat der Comedian als Einziger den Witz erkannt: Er hat die Risse in der Gesellschaft und das wahre Gesicht des 20. Jahrhunderts gesehen und beschlossen, eine Reflexion, eine Parodie davon zu werden. Deshalb sei er einsam gewesen. Damit wird auch klar, dass sich Rorschach als Außenseiter mit ihm identifiziert – obwohl Blake im Gegensatz zu ihm keine Moral hatte und sich für die US-Regierung einspannen ließ. Rorschach hingegen ist radikal unbestechlich.

Rorschachs Witz von Pagliacci, der einen Arzt wegen Depressionen aufsucht, spiegelt den Comedian, während wir noch einmal dessen Leben und Tod an ihm vorbeiziehen sehen: Womit kann man einen traurigen Mann noch zum Lachen bringen, wenn er selbst der Clown ist? Die Pointe ist bitter: Es gibt keine Hoffnung. Und trotzdem steckt sich Rorschach eine Rose von Blakes Grab an. In diesem Trotzdem liegt Rorschachs Subversion. Und so erklärt sich auch das Zitat von Elvis Costello:

„And I’m up while the dawn is breaking, even though my heart is aching. I should be drinking a toast to absent friends instead of these comedians.“

Die eigentlichen Komiker, die Lächerlichen, sind die anderen.

>> Watchmen-Bibliografie

12 Gedanken zu “Watchmen #2: Absent Friends

  1. Pingback: Watchmen #3: The Judge of All the Earth | Watching the Watchmen

  2. Pingback: Under the Hood (Watchmen #1-3) | Watching the Watchmen

  3. Pingback: Watchmen #4: Watchmaker | Watching the Watchmen

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