
DC Comics
Ein Flakon Nostalgia-Parfum fliegt durchs All, das Parfum spritzt heraus. Wieder sehen wir nicht, was ist, sondern was sein wird, allerdings erklärt Dr. Manhattan später: „There is no future. There is no past. Do you see? Time is simultaneous.“ Zeit sei wie ein Juwel, von dem wir bloß eine Kante auf einmal sehen. Wieder sehen wir als Comicleser die Zeit mit seinen Augen. Alles passiert gleichzeitig, nur an anderer Stelle.
Eine Sequenz wiederholt sich zu Beginn: Dr. Manhattan (Jon) bringt Laurie zum Mars. Doch dabei vergisst er, dass Laurie in der Atmosphäre nicht atmen kann, es braucht zwei Seiten, bis er versteht, dass sie droht zu ersticken. Menschliche Grundbedürfnisse sind ihm fremd, das Schicksal der Menschen ihm egal. Aus seiner Sicht ist alles vorherbestimmt: „We’re all puppets, Laurie. I’m just a puppet who can see the strings.“ Trotzdem ist er voller Bewunderung für die Natur und lässt Laurie bei einem Rundflug über den Mars daran teilhaben.

Die Schneekugel und das Parfum. (DC Comics)
Jon bringt Laurie dazu, sich zu erinnern. Ihre erste früheste Erinnerung mit ihm zu teilen. Als Fünfjährige sieht sie ihren Eltern, Sally Juspeczyk und Larry Schexnayder, beim Streiten zu (über den Comedian), sie geht ins Wohnzimmer und nimmt die Schneekugel mit dem Schloss vom Fernseher.
„It was like a whole world; a world inside the ball. It was like a little glass bubble of somewhere else. (…) I figured inside the ball was some different sort of time. Slow time.“

Die Schneekugel zerbricht.
Laurie flieht in diese Fantasie, um dem Konflikt zwischen ihren Eltern zu entgehen. Sie geht davon aus, dass nicht Schexnayder ihr Vater ist, sondern Hooded Justice, der Ex-Freund seiner Mutter. Doch dann wird sie von ihrem Vater erwischt und ausgeschimpft, sie lässt die Kugel fallen und stellt enttäuscht fest, dass nur Wasser darin ist.
In der zweiten Erinnerung ist Laurie 13 Jahre alt und trainiert dafür, die Nachfolgerin ihrer Mutter als Silk Spectre zu werden. Sally verbietet ihr aber, in Hollis Masons Buch Under the Hood zu lesen. Sie empfängt ihre alten Freunde von den Minutemen, dabei lässt der geisteskranke Byron (Mothman) ein Glas fallen und es zerbricht.

Das Glas zerbricht, das Parfum fliegt weiter. (DC Comics)
Dr. Manhattan greift das Bild auf, indem er Laurie fragt, was der Sinn des Kampfes im Leben der Menschen ist: Sie arbeiten, ohne etwas zu erreichen, sie enden nur leer, desillusioniert und gebrochen. Das Leben sei überbewertet, der Mars komme auch gut ohne aus, sogar besser.

Laurie revanchiert sich bei Blake. (DC Comics
In den folgenden zwei Erinnerungen geht es um den Comedian: Laurie begegnet ihm zum ersten Mal nach dem ersten und letzten Treffen der Crimebusters. Sally ist wütend auf Blake und bringt Laurie von ihm weg. In der zweiten Erinnerung weiß Laurie bereits, was Blake ihrer Mutter angetan hat und macht ihm Vorwürfe, dass er versucht hat, Sally zu vergewaltigen (Watchmen #2). Als er antwortet „Only once“, schüttet sie ihm ihren Scotch ins Gesicht.

Laurie und Jon vor den Trümmern der gläsernen Festung.
Als Laurie daraufhin die Teile ihrer Erinnerung zusammensetzt und realisiert, dass Blake ihr Vater ist, wirft sie den Nostalgia-Flakon gegen Jons gläserne Festung und beides zerbricht. Jon bildet ein kugelförmiges Kraftfeld um sie herum, um sie vor den Trümmern zu schützen. Für einen Moment sind sie selbst wie Teil einer Schneekugel, während es außerhalb unruhig und chaotisch ist.
Die zusammengesetzte Erinnerung bringt sogar zwei Weltbilder zum Einsturz. Denn daraufhin ändert Jon seine Meinung über das Leben: Die schiere Unwahrscheinlichkeit der Entstehung von Leben erscheint ihm als thermodynamisches Wunder. Im Moment der Einsicht sehen wir den Mars von oben und erkennen, dass der Krater wie der Smiley des Comedian aussieht. Passend dazu stellt Laurie bereits kurz zuvor fest: „Blake, that bastard, and my m-mother, they … they pulled a gag on me is what they did! My whole life’s a joke. One big, stupid, meaningless …“

Der Smiley auf dem Mars.
Am Ende ist der Smiley auch nur ein Zufall, ein Muster, das wir im Chaos erkennen, wie das Bild eines Rorschachtests. Oder aber der ein Anzeichen dafür, dass alle nur Teil eines viel größeren Witzes sind, den niemand begreift. Das Wunder des Lebens könnte genauso gut bloß Zufall sein wie diese Formation aus Stein und Sand.
Jons Motivation erklärt das Zitat von C.G. Jung am Ende:
„As far as we can discern, the sole purpose of human existence is to kindle a light of meaning in the darkness of mere being.“
Wieder klingt Rorschachs Nihilismus durch (Watchmen #6): Das Sein ist Dunkelheit, wir können bloß versuchen, Licht hineinzubringen, indem wir Sinn stiften. Es ändert aber nichts an der sinnlosen Dunkelheit, die alles umgibt.
In einem Interview im Anhang versucht Sally Jupiter ihre Beziehung zu Blake zu erklären. Dabei widerspricht sie sich selbst. Einerseits erklärt sie, sie hege keinen Groll gegen ihn, andererseits sage sie, sie wolle den Vergewaltigungsversuch nicht rechtfertigen und trotzdem sieht sie sich in einer Schuld: „I felt like I’d contributed in some way.“ Sie sei sich ihrer Gefühle nicht sicher. Das bleibt vielleicht das größte Rätsel von Watchmen: Wie eine Frau, die von einem Mann geschlagen und beinahe vergewaltigt wurde, trotzdem freiwillig intim mit ihm werden kann. Hier versagt die Suche nach einem Sinn. Aber es fällt schwer, diesen Un-Sinn – wie Jon – als Wunder zu sehen.
Pingback: Doomsday Clock #6: Truly Laugh | Watching the Watchmen
Pingback: Doomsday Clock #10: Action | Watching the Watchmen
Pingback: Watchmen 1.4: If You Don’t Like My Story, Write Your Own | Watching the Watchmen
Pingback: Watchmen #4: Watchmaker | Watching the Watchmen
Pingback: Watchmen 1.7: An Almost Religious Awe | Watching the Watchmen
Pingback: Watchmen 1.8: A God Walks into Abar | Watching the Watchmen