
DC Comics
Der Zeiger der Uhr erreicht die Zwölf. Die Doomsday Clock schlägt Armageddon. Lag auf dem gelben Smiley-Button einst ein Spritzer Blut (Watchmen #1), fließt es jetzt in Strömen übers gelbe Zifferblatt. Aus dem Madison Square Garden ragen die Leichen der Konzertbesucher, die „Pale Horse“ und „Krystalnacht“ sehen wollten. Der letzte apokalyptische Reiter hat sein Werk vollbracht: Massenmord. Auf sechs Splash Pages wird dargestellt, wie Tod und Zerstörung über New York gebracht wurden, alle Einwohner, die als Nebencharaktere eingeführt wurden (Bernie & Bernie, die Malcolms, die Polizisten), liegen tot auf der Straße, aus dem Institute for Extraspacial Studies ragt die Kreatur mit ihrem Auge und ihren Tentakeln, zu groß, um auf eine Seite zu passen. Das Ereignis sprengt jeden Rahmen. So groß die Bilder der Seite auch sind, man sieht immer nur kleine Ausschnitte der ganzen Katastrophe.

Nach Mitternacht: Jon und Laurie im zerstörten New York.
Dr. Manhattan und Laurie treffen am Schauplatz ein, dann teleportiert Jon sie in die Antarktis. Ozymandias versucht, Dr. Manhattan zu desintegrieren, aber es gelingt ihm nicht (nur Bubastis stirbt). Laurie versucht, Ozymandias zu erschießen, aber er fängt die Kugel und setzt Laurie außer Gefecht.

Seht meine Werke, Mächt’ge, und erbebt: Ozymandias bringt den Weltfrieden.
Ozymandias zeigt ihnen auf seinen Monitoren, was seine Aktion weltweit bewirkt: Die Menschheit solidarisiert sich mit den Opfern solidarisieren, Feinde werden zu Freunden. Die anderen fünf Helden sehen die Welt mit seinen Augen, durch das vielstimmige Mosaik, in kleinen Ausschnitten, aber facettenreich genug, um das Ausmaß zu begreifen.

Geschafft: Ozymandias durchschlägt den Gordischen Knoten.
Ozymandias jubelt: „I did it!“ In diesem Panel sieht man im Hintergrund das Bild von Alexander, wie er den Gordischen Knoten durchschlagen hat. „All the countries are unified and pacified.“ Es ist die unkonventionelle, aber brachiale Lösung eines komplexen globalen Problems. Und es hat einen hohen Preis: Der Held wird zum Schurken, er nimmt einen Massenmord in Kauf, um einen größeren zu verhindern, und er stellt Frieden durch Betrug her, wodurch er fragil erscheint, weil er das Risiko eingeht, dass der Betrug auffliegt.
Tatsächlich könnte Dr. Manhattan ihn zur Rechenschaft ziehen. Aber als Ozymandias ihm und den anderen Helden vorführt, dass sie es nicht tun können, weil sie sonst den Weltfrieden gefährden würden, lassen sie von ihm ab.

Rorschach im Zeichen der Liebenden.
Nur Rorschach bleibt Idealist und will zurück in die USA, um die Menschen zu informieren: „No. Not even in the face of Armageddon. Never compromise.“ Ozymandias ist davon nicht beeindruckt: Rorschach sei kein verlässlicher Zeuge. Da er selbst ein Krimineller sei, würde man ihm kaum Glauben schenken.
Aber Jon geht auf Nummer sicher: Er hält Rorschach auf und tötet ihn. Dazu zieht Rorschach sogar die Maske aus und fordert ihn dazu auf. Auch er hat seine aussichtslose Lage erkannt. Seine Kompromisslosigkeit läuft auf ein Ganz-oder-gar-nicht hinaus. Er kann das Verbrechen nicht ungesühnt lassen, also muss er sterben. Damit zeigt sich aber auch, dass Rorschach, der anfangs noch den verlorenen Seelen New Yorks die Rettung versagt hat, trotzdem Vergeltung für die Toten will. Und auch wenn für ihn sonst der Zweck die Mittel heiligt, gilt das hier nicht mehr, weil das Mittel in diesem Fall kein Verbrechen rächt, sondern das Verbrechen ist, das einen Krieg verhindern kann. Am Ende ist Rorschach ein ehrlicher Krieg lieber als ein unehrlicher Frieden.
Analog zu seiner Maske bleibt von Rorschach nichts als ein Blutfleck im Schnee übrig. Zugleich hat Dr. Manhattan, obwohl ihm das Leben heilig ist, kein Problem mit dem Mord an Rorschach, weil es das kleinere Übel ist.
Laurie und Daniel trösten einander, ihr Schatten erinnert wieder nicht nur an die „Hiroshima lovers“, sondern auch an Rorschachs Muster auf der Maske, den Rorschach-Test und den Schatten seiner Mutter mit ihrem Freier.

Liebende im Zeichen von Armageddon: Daniel und Laurie.
Als Jon die beiden nackt nebeneinander schlafen sieht, freut er sich für sie und sucht Ozymandias auf. „Human affairs cannot be my concern“, sagt er. „I’m leaving this galaxy for one less complicated.“ Er will neue Menschen machen. Wie schon bei „Gordian Knot“ erfüllt sich der Name des Taxi-Unternehmens „Promethean“ in Handlung. Später hat es ein neues Management: Es gibt einen neuen Gott, der neue Menschen erschafft.
Ozymandias fragt ihn, ob er richtig gehandelt habe. Aber Jons letzte Worte an ihn sind: „Nothing ends, Adrian. Nothing ever ends.“ Adrian fragt ihn, was er meint, aber er bekommt keine Antwort mehr. Jon verschwindet.

Die Liebe zum Comedian hält an: Sally Jupiter.
Jons Satz kann man auf zwei Arten verstehen: Alles geht weiter und alles wiederholt sich. Ersteres bewahrheitet sich später, wenn Sally Jupiter nach dem Besuch von Laurie und Daniel das Bild des Comedians küsst. Ihre Liebe zu ihm hält weiter an.

Offenes Ende: Was wird aus Rorschachs Tagebuch?
Letzteres erfüllt sich auf der letzten Seite, wenn Seymour nach Rorschachs Tagebuch greift. Es ist ein offenes Ende, bei dem nicht klar wird, ob das Tagebuch publiziert wird und was die Auswirkung davon sein wird. Immerhin ist der New Frontiersman ein rechtes Hetzblatt, das Verschwörungstheorien verbreitet. Es ist mindestens genauso unglaubwürdig wie Rorschach selbst. Zumal die Authentizität des Tagebuchs nur schwer zu beweisen sein dürfte.
Allerdings ist da auch das Smiley-Symbol auf Seymours T-Shirt, das mit Ketchup befleckt so aussieht wie der Button des Comedian nach seinem Tod. Der Kreis schließt sich. Und das Symbol deutet weiteres Blutvergießen voraus. Nichts wird aufhören, weil alles in Zyklen wiederkommt: Frieden und Krieg, Verbrechen und Gerechtigkeit, Schurken und Helden – alles ist dem Fluch der Ewigen Wiederkehr unterworfen.
Am Ende ist alles nicht nur im Gleichgewicht, sondern es ist auch egal, wie die Geschichte endet, denn das Ende ist immer gleich. Das Schlusszitat von John Cale aus dem Song „Sanities“ lässt zynisch auf den Frieden blicken:
„It would be a stronger world, a stronger loving world, to die in.“
Selbst der Frieden ändert nichts an dem Grundproblem der Welt, dass alles und jeder sterben muss. In letzter Konsequenz macht es keinen Unterschied, ob Krieg oder Frieden, es läuft alles auf nichts hinaus, die große Gleichmacherei. Auch den Menschen in New York dürfte es egal sein, warum sie gestorben sind: ob wegen einer Atombombe oder wegen eines Fake-Aliens.
Das ist die nihilistische Pointe von Watchmen. Wie wichtig ist es, in was für einer Welt wir sterben? Das ist auch die moralische Frage, die die Helden entzweit und mit der die Leser allein zurückgelassen werden. Wir sind nicht nur Wächter, wir sind Richter. Das Urteil bleibt uns überlassen. Aber das Urteil wird wirkungslos bleiben. Auch hier sind wir – wie die Superhelden in Watchmen – bloß zum tatenlosen Zusehen verdammt und in unserer realen Welt denselben Zwängen unterworfen.
Pingback: Before Watchmen: Ozymandias | Watching the Watchmen
Pingback: Before Watchmen: Dr. Manhattan | Watching the Watchmen
Pingback: Doomsday Clock #1: That Annihilated Place | Watching the Watchmen
Pingback: Doomsday Clock #7: Blind Spot | Watching the Watchmen
Pingback: Doomsday Clock #10: Action | Watching the Watchmen
Pingback: Watchmen 1.7: An Almost Religious Awe | Watching the Watchmen
Pingback: Watchmen 1.8: A God Walks into Abar | Watching the Watchmen