
DC Comics
Die Vorgeschichte von Nite Owl wurde in Watchmen nur in Worten erzählt: Hollis Mason schrieb seine Autobiografie Under the Hood, Daniel Dreiberg erzählte Laurie von seiner Superheldenkarriere in Watchmen #7, aber ohne Rückblenden. J. Michael Straczynski hat mit seinem Before Watchmen-Kapitel zusammen mit Andy und Joe Kubert aber nicht nur Bilder dafür gefunden, sondern sich eine eigene Story ausgedacht.
Daniel Dreiberg wird als Fanboy eingeführt, der seinen Helden Nite Owl bewundert und ihn zu seiner Höhle verfolgt, um ihm seine Dienste als Sidekick anzubieten. Die beiden arbeiten tatsächlich kurz zusammen, bis Hollis Mason aufhört und Daniel zum Nachfolger erklärt. Daniel adaptiert den Namen, aber macht Nite Owl zu einem Helden, der stärker von technischen Geräten abhängt, wie etwa dem Owl Ship Archimedes.
Nite Owl trifft Rorschach
Daniels Vorgeschichte wird um Abgründiges angereichert: Er hat einen Vater, der seine Frau schlägt. Mutter und Sohn lassen ihn nach einem Herzinfarkt sterben, bevor sie den Krankenwagen rufen. Daniel erbt das Vermögen und kann so seine Karriere als Verbrechensbekämpfer finanzieren. 1962 schließt sich ihm Rorschach auf eigene Initiative an und die beiden werden ein ungleiches Team. Dass der Einzelgänger diese Gesellschaft sucht, verwundert doch sehr.
Damit wird die Geschichte von Nite Owl auch eine von Rorschach. Auch seine Vorgeschichte wird noch einmal nacherzählt, er macht sich schon als Kind schuldig, einen Freier seiner Mutter getötet zu haben. Als Erwachsener besucht er die Kirche eines fanatischen Predigers, der gegen den Sittenverfall anredet und das Weltende verkündet. Nite Owl und Rorschach untersuchen einen Serienmord an Prostituierten, bis Rorschach per Zufall herausfindet, dass der Prediger die Leichen im Keller der Kirche stapelt.
Nite Owl lernt die Twilight Lady kennen, eine Prostituierte, die sich auf SM-Spiele spezialisiert hat. In Watchmen tut Daniel sie nur als verrückte Verehrerin ab, hier wird sie zu einer Gleichgesinnten und zur tragischen Liebe. Nite Owl legt vor ihr sogar seine Maske ab.
Eigentlich eine Rorschach-Story
Im Gegensatz zu anderen Prequels ist Straczynskis Nite Owl keine bloße Nacherzählung, sondern eine echte Ergänzung zu Watchmen. Das Kreativteam versucht gar nicht erst, die Bildsprache, Erzählstil oder Symbolik der Originalserie zu adaptieren, sondern es erzählt seine Geschichte in modernen Konventionen. Allerdings nimmt in dem Vierteiler Rorschach auch einen großen Teil ein, was einerseits zu einer besonderen Spannung mit Nite Owl und einigem Humor führt, andererseits fehlt ihm auch viel Erzählzeit und es kommt der Verdacht auf, dass Rorschach erst die Würze liefert, weil Nite Owl allein die Geschichte nicht trägt – oder man ihm nicht genug Potenzial zutraut.
Das allein wäre in Ordnung, wenn es nicht bereits ein Before Watchmen: Rorschach gäbe. Und da hier der Schurke am Ende Rorschachs Gegner ist, den auch Rorschach besiegt, kann man sich die Frage stellen, um wessen Geschichte es sich bei Nite Owl handelt. Rorschach scheint Nite Owls Story zu kapern, während Nite Owl sich mit der Twilight Lady im Bett vergnügt und Hollis Masons dunkelste Geheimnisse erfährt (siehe Before Watchmen: Minutemen).
Am Ende weiß man, woher Walter Kovacs sein „The end is nigh“-Schild hat. Ihm gehört das letzte Bild. Es ist ein sehr blutiger Hintergrund: Das menschliche Grauen, das Kovacs in Watchmen schildert, wird hier gesteigert – und zwar so sehr, dass man sich fragen kann, warum später davon nicht mehr die Rede ist. Prequels haben ihre eigene Logik. Wenn sie nicht nur Nacherzählungen sein wollen, sind sie im Grunde auch Fortsetzungen mit einem Anspruch, das Bekannte zu überbieten. Wenn es darum geht, zu überraschen, ist der Versuch geglückt. Das ist immerhin etwas, das man von einigen anderen Before Watchmen-Kapiteln nicht behaupten kann.
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