
DC Comics
„When men make Gods, there is no God!“, lautet das Zitat des US-Dramatikers Eugene O’Neil. „There is no God“, lautet demnach der Titel des fünften Kapitels von Doomsday Clock. Er fällt, als einer der beiden Polizisten sagt, man könne nur noch an Superman glauben. Superman ist in dieser Welt der einzig verbliebene Gott. Die anderen Superhelden sind gefallen, zumindest im Ansehen. Batman hätte man schon längst das Licht ausknipsen müssen, sagt ein Polizist. Und am Ende kommt Batman dem auch sehr nah.
Das Kapitel beginnt mit dem Röntgenbild von Ozymandias′ Schädel, das bereits in Teil 4 (Seite 26) zu sehen war und als Beleg für das Glioblastom (Hirntumor) dienen sollte. Jetzt sind die ersten Worte über Ozymandias: „This man is lucky.“ Nach einem Sturz aus 20 Stockwerken habe er nur eine gebrochene Rippe und eine Lungenquetschung. Von einem Hirntumor ist nicht die Rede. Das Röntgenbild ist das aus Karnak, es stammt vom 2. Februar, es hängt nicht im Krankenhaus. (Damit durchbricht der Comic das Watchmen-Prinzip, mit einem Bild vom jeweiligen Schauplatz zu beginnen.)

Licht ins Dunkle gebracht: Ozymandias geht es gut.
„God must have been looking out for him.“ Die Ärztin wird gefragt, ob sie an Gott glaube. Sie aber deutet an, dass nicht einmal zwölf Jahre katholische Schule sie glauben ließen. Dann fragt einer, ob jemand ihrer Patienten bei einer Nahtoderfahrung Licht am Ende des Tunnels gesehen habe. Sie bejaht, aber zerstört den angeblichen Himmelsbeweis, indem sie erklärt, dass diese Lichter, die die Patienten sehen, von einer erhöhten Hirntätigkeit herrühren.

Es gibt keinen Himmel: Eine Ärztin klärt auf.
Das Licht ihrer Taschenlampe leitet vom Röntgenbild zur prosaischen Gegenwart im Krankenhaus von Metropolis über. Wir sehen nicht mehr, was Ozymandias Rorschach weismachen wollte, sondern die Wahrheit: Ozymandias ist gesund. Und es gibt keinen Gott.
Batmans „Knightfall“ als Göttersturz
Ozymandias befreit sich und Bubastis und flieht in einer Polizeiuniform. Im Owl Ship erwartet ihn bereits Batman. Gemeinsam entkommen sie einem versuchten Zugriff der Polizei. Daraufhin werden sie von Polizeihubschraubern verfolgt. Ozymandias beschießt sie, Batman will das verhindern, Ozymandias schüttelt ihn ab und Batman fällt heraus. Der Sturz wird zum buchstäblichen Knightfall: Eine Menge wütender Anti-Batman-Demonstranten schlägt auf ihn ein, während andere das Batsignal vom Dach des Polizeipräsidiums stürzen. Dann wird der bewusstlose Batman zum Joker gebracht.

Knightfall: Batman fällt dem Mob zum Opfer.
Weltweit spitzt sich die Krise immer mehr zu: Nach einem Terroranschlag tschetschenischer Separatisten in Russland wurden die Superhelden Hawk and Dove in St. Petersburg festgenommen, nachdem sie sich in die Angelegenheiten der Polizei eingemischt haben. Der russische Superheld Pozhar (Mikhail Arkadin) verkündet daraufhin, dass Russland die Grenzen schließt. Kein Ausländer kommt mehr rein.
Firestorm beteuert im Fernsehen, durch einen Unfall seine Kräfte bekommen zu haben und kein Produkt der US-Regierung zu sein, während Killer Frost das Gegenteil behauptet. Black Adam bietet allen verfolgten Metawesen Asyl in Kahndaq.
Grünes Licht am Ende des Tunnels
Rorschach und Saturn Girl kleiden sich neu ein (hier nennt sie erstmals ihren Namen), sie holt sich ihren Legion-Ring zurück. Gemeinsam wollen sie Dr. Manhattan finden. Als Rorschach sie fragt, ob sie eine Idee habe, wie das gehen soll, sagt Saturn Girl: „We need a great big light.“ In diesem Panel wird eine Straßenlaterne gezeigt, die von Insekten umschwirrt wird. Die Mottensymbolik aus Teil 4 wird damit wieder aufgegriffen.

Ein großes Licht, um Dr. Manhattan zu finden: Rorschach und Saturn Girl.
Der Comedian taucht am Tatort in Jokers Bar auf, Marionette und Mime suchen nach dem Joker. Johnny Thunder flieht aus dem Altenpflegeheim und fährt mit dem Bus nach Pittsburgh, wo ein grünes Feuer ein Stahlwerk vernichtet hat. Das Feuer ging offenbar von Alan Scotts Green Lantern aus. Diese will Thunder beschaffen, um seinen Geist Thunderbolt heraufzubeschwören und seine Freunde wiederzufinden. Er will nicht mehr allein sein.
Als Thunder die Lampe später an sich nehmen will, wird er – analog zu Batman – von Junkies angegriffen und von Rorschach und Saturn Girl gerettet. Wenn Thunder die Lampe hochhält, wird in Gotham eine andere Lampe, das Batsignal, vom Dach geworfen.

Johnny Thunder ergreift die Green Lantern, der Mob stürzt das Batsignal.
In dem Moment, wenn Rorschach fragt, was es mit der Lampe auf sich habe, fliegt eine Motte auf das Licht zu (wie in Kapitel 4). Diesmal fliegt die Motte keinem blauen, sondern einem grünen Licht entgegen. Wieder handelt es sich um eine göttliche Macht, oder zumindest um eine übermenschliche. Götter, heißt es am Ende, werden von Menschen gemacht. Also können sie auch von Menschen gestürzt werden. Batman liegt bereits am Boden. Das Licht der Green Lantern verspricht aber Hoffnung. Es gibt Licht am Ende des Tunnels. Und wenn die Motte darauf zufliegt, wird sie nicht verbrennen.

Für Batman sieht es düster aus, die Motte fliegt dem Licht zu.
Geschichte wiederholt sich – verkehrt
Im Film The Adjournment tritt Nathaniel Dusk die Tür eines Verdächtigen ein: Jasper Wellington, den Buchhalter des Opfers Alastair Tempus. Er hat einen Koffer voller Geld und Frauenklamotten gepackt, jetzt versteckt er sich im Schrank. Beim Verhör bestreitet er den Mord. Wellington sagt, er habe Tempus um einen Kredit gebeten, damit er in Europa eine Geschlechtsumwandlung vornehmen lassen kann. Tempus habe ihn abgewiesen, nach dessen Tod hat sich Wellington das Geld genommen. Es stehe ihm nach all den Dienstjahren zu. Dusk glaubt ihm: „This poor man never hurt anybody.“
Die Sequenz folgt auf Johnny Thunders Ausbruch. Danach sehen wir, wie er versucht, einen Zug nach Pittsburgh zu nehmen, aber kein Geld hat. Schließlich nimmt er den Bus. Thunder sieht Wellington sehr ähnlich: Beide haben eine Halbglatze und tragen Fliege. Auch Thunder ist ein armer Mann, der für seine Verdienste in der Vergangenheit nicht belohnt wird. Auch er will zu seinem zweiten Ich, seinem wahren Selbst finden.
Doch er wird zunächst unverschuldet Opfer. Als er am Boden liegt und ihn ein Junkie mit der Lampe (er)schlagen will, erinnert die Sequenz an Watchmen #8, als Hollis Mason von den Knot Tops mit seiner Nite Owl-Statue erschlagen wird. Aber die Geschichte wiederholt sich nicht, sondern verläuft umgekehrt. Die Lampe wirft keinen Schatten, sondern Licht auf Thunders Gesicht und er wird (von einem Deus ex machina) gerettet. Während man bei Hollis sieht, wie er beim Abwehren der Schläger noch ein letztes Mal in seine alte Rolle als Nite Owl zurückfällt, sieht man in Doomsday Clock, wie der Superheld Batman parallel dazu scheitert.
„Don’t you worry“, sagt Saturn Girl zu Thunder, als Rorschach die Angreifer tötet. „They were all going to overdose tonight anyway. Everything evens out.“ Und tatsächlich ist alles am Ende im Gleichgewicht: Des einen Glück ist des anderen Pech. Und wo Gott ein Licht einschaltet, schaltet er woanders eins aus. Mit Superman und Dr. Manhattan deuten sich zwei Götter an – ob damit die Welt im Gleichgewicht ist, ist eine andere Frage.
Pingback: Doomsday Clock #6: Truly Laugh | Watching the Watchmen