
Bevor der Polizist Wade Tillman alias Looking Glass zu einem der neuen „Watchmen“ wurde, verteilte er den Wachturm (Watchtower) – und damit steht er in alter Tradition, denn auch im Comic (Watchmen #10) tauchen zwei Missionare auf, die vom Ende der Welt sprechen. Am 2. November 1985 versucht der junge Wade, in einem Vergnügungspark in Hoboken, mit anderen Zeugen Jehovas, die sündigen Menschen zu missionieren – „in the whore’s den“. Auf dem Cover des Watchtower sind Pandas zu sehen, ein Symbol für die Eintracht im Paradies.
„Panda“ ist auch der Deckname des Cops in Tulsa, der darauf pocht, streng nach Regeln zu handeln. Auch er trägt Mitschuld am Tod seines Kameraden, bezeichnet es aber später als Fehler, als Crawford die Schusswaffen für Polizisten freigibt. Zugleich spiegelt das schwarz-weiße Gesicht der Pandas in gewisser Weise das Muster der Rorschach-Masken. Auch wenn es keine ideologische Nähe gibt, steht es doch in beiden Fällen für ein polares Schwarz-weiß-Denken. Looking Glass erinnert in seinem Verhalten an Rorschach – von der Maske bis hin zu der Szene, in der er kalte Bohnen aus der Dose isst.
Wade Tillmans Traumata
Zurück nach 1985: Kurz nachdem Wade angekommen ist, lässt er sich selbst von der Sünde verführen. Eine junge Frau von den Knot Tops bringt ihn in ein Spiegelkabinett, täuscht vor, mit ihm Sex haben zu wollen, zieht ihn aus, aber klaut dann bloß seine Kleidung und rennt davon.
Als Wade nackt und gedemütigt dasteht und sich selbst Vorwürfe macht, ist er nicht nur entlarvt, sondern durch die vielen Spiegel auch auf sich zurückgeworfen und mit seiner Sünde konfrontiert. Vor dem Hintergrund des von ihm beschworenen Paradieses wirkt er wie ein Adam nach der Erbsünde. Doch im Moment der persönlichen Krise passiert die Katastrophe: Veidts Monster trifft in New York ein und tötet auch die meisten Menschen im Vergnügungspark. Für Wade geht im Spiegelkabinett buchstäblich eine Welt zu Bruch. Er wird Zeuge eines Massakers, das ihn fürs Leben zeichnet.

In seiner Maske als Looking Glass muss nicht er in den Spiegel sehen, sondern wird zum Spiegel, der andere als Zerrbild mit sich selbst konfrontiert. Außerdem durchschaut er die Menschen als eine Art lebender Lügendetekor, nicht nur bei der Polizei, sondern auch in der Marktforschung.
Wir erfahren, dass er seine reflektierende Maske nicht nur aus symbolischen Gründen trägt. Das Material Reflectatine in seiner Mütze lässt ihn ruhig schlafen. Deshalb ist er auch im Alltag ein „Aluhutträger“, wenn auch nicht im Sinne eines Verschwörungstheoretikers. Wade hat gute Gründe für seinen Bunker im Garten und dass er mit einem Alarmsystem hunderte Male den Ernstfall probt, bis die Alarmanlage kaputtgeht. Bereits in Episode 4 erfährt man, dass er die kleinen Squids, die vom Himmel fallen, fotografiert und sogar Empathie mit ihnen verspürt. Jetzt wird klar, dass er sich auch vor dem Eintreffen eines neuen Riesen-Squids fürchtet.
Wiederholung des Traumas und Heilung
Wade betreibt eine Selbsthilfegruppe für Traumatisierte des 2. November. Dort lernt er eine Frau kennen, die ebenfalls gezeichnet zu sein scheint. Doch bei seiner neuen Bekanntschaft verkennt er die Täuschung: Sie lockt ihn in einer Falle der Seventh Kavalry. Wade wiederholt seinen alten Fehler, doch bevor er sein erstes Trauma wieder durchleben kann, wird ihm sein zweites genommen: Senator Keene zeigt Wade ein Video, in dem Adrian Veidt vor dem von ihm designierten Präsidenten Robert Redford zugibt, dass das Alien in New York eine Fälschung war. Seine Angst verschwindet.
Zuvor findet Wade für Angela heraus, dass es sich bei den Pillen aus dem Handschuhfach ihres Autos um Nostalgia handelt, ein Demenzmedikament, das Erinnerungen wiederherstellt. Auf Druck von Keene verrät er sie später an Laurie Blake, die seinen Schreibtisch abhört. In gewisser Weise kehrt Wade damit sein erstes Trauma um: Statt nackt von einer Frau stehengelassen zu werden, entblößt er nun seine Kollegin. Bevor Angela abgeführt wird, schluckt sie alle Pillen auf einmal und landet im Koma. Als Wade wieder nach Hause kommt, schmeißt er die Alarmanlage in den Müll, nur um sie sofort wieder herauszuholen. Sicher ist sicher. Aber kurz darauf kommt die Seventh Kavalry auf einen unangemeldeten Besuch vorbei.
Und was macht Adrian Veidt? Der lässt sich im Raumanzug ins All katapultieren und landet auf der kargen Oberfläche des Jupitermondes Europa, wo er aus den gefrorenen Leichen der Phillips- und Crookshanks-Klonen einen Hilferuf formt: „SAVE ME D“. Später stellt sich heraus, dass D für „daughter“ steht und eine Nachricht an Lady Trieu ist, ihn von Europa herunterzuholen. Dann wird er vom Game Warden wieder in die Gefangenschaft zurückgezogen und gefangen genommen.
Pingback: Watchmen 1.6: This Extraordinary Being | Watching the Watchmen