Before Watchmen: Dollar Bill

Before Watchmen: Dollar Bill (Cover)

DC Comics

Dollar Bill ist der einzige der Minutemen, der im Rahmen von Before Watchmen ein eigenes Heft bekommt. Zwar nur eine Einzelausgabe, aber trotzdem verwundert die Auswahl. Vielleicht liegt es daran, dass er im Prequel Minutemen im Vergleich zu den anderen unterrepräsentiert war, aber was ist von einem Helden auch zu erwarten, der nur das Werbemaskottchen einer Bank ist?

Len Wein und Steve Rude machen aus William Benjamin „Bill“ Brady einen jungen Mann mit nur zwei Talenten: Aussehen und Sport. Doch seine Karriere als Profi-Football-Spieler endet schon im College nach einer Verletzung. Er versucht sich als Schauspieler und Sänger, scheitert und nimmt aus Mangel an Alternativen den nächstbesten Job an, bei dem es nur auf sein Aussehen ankommt: Er wird Dollar Bill für die National Bank – ein Superheld, der bloß Werbung fürs Kino macht.

Als ihn seine Chefs zum Minutemen-Casting schicken, wird er nur aufgenommen, weil er bereits eine bekannte Figur ist. Die Gruppe entlarvt sich dabei von Anfang an als reine Show. Das zeigt sich auch bei der ersten Mission, die trotz eines Reinfalls als Erfolg verkauft wird. Beim ersten ersthaftem Einsatz beweist Dollar Bill seine Fähigkeiten als Schläger, aber dann stellt er fest, dass sein Ruf im Showbusiness hin ist. Festgelegt auf seine Rolle will ihn kein Studio in Hollywood engagieren.

Pechvogel zum Scheitern bestimmt

Bei einem Überfall auf die National Bank bleibt Dollar Bill – wie bereits in Under the Hood erzählt – mit seinem Cape in der Drehtür hängen und wird von den Räubern erschossen. Nicht einmal sein Image kann ihn retten. Nach Silhouette ist er damit der zweite der Minutemen, der stirbt. Aber am Ende überdauert seine Rolle: Im letzten Panel ist ein Kind zu sehen, das in einem Dollar-Bill-Kostüm Superheld spielt.

Leider ist das nur ein schwacher Trost, denn Dollar Bill spielt in Watchmen keine Rolle. Von einer lebenden Legende ist nichts zu sehen. Vielmehr ist es so, dass die Minutemen als Obskurität gelten und Superhelden für Kinder ohnehin keinen großen Reiz darstellen, wie Veidt bereits beim Vermarkten seiner Ozymandias-Spielfiguren bemerkt.

Der One-Shot erzählt wie schon bei Moloch die tragische Geschichte eines Pechvogels, der zum Versager prädestiniert ist. Dollar Bill ist vielleicht noch mehr als andere eine lächerliche Figur, die das Konzept Superhelden noch fragwürdiger erscheinen lässt. Dollar Bill war also nicht mehr als eine dumme Idee. Das herauszustellen, war nicht unbedingt nötig und macht den Comic über ihn daher auch nicht viel klüger.

Before Watchmen: Moloch

before watchmen moloch

DC Comics

In Watchmen bekommt jeder der sechs Protagonisten eine Vorgeschichte, aber keiner der Schurken. Der einzige, der herausgestellt wird, ist Edgar William Jacobi alias Moloch. Er ist aber mittlerweile ein geläuterter Verbrecher, der seine Zeit im Gefängnis abgesessen und jetzt nur noch mit dem Krebs zu kämpfen hat. Rorschach verhört ihn nach dem Tod des Comedian und erfährt, dass der Comedian Jacobi kurz zuvor aufgesucht hat, um ihm von seiner Entdeckung zu erzählen (Watchmen #2). Bald darauf wird Jacobi selbst ermordet – und Rorschach dafür verantwortlich gemacht. Beide werden zu Bauernopfern in Adrian Veidts Plan (Watchmen #5).

In Before Watchmen bekommt Moloch einen Zweiteiler gewidmet. Der erste Teil etabliert ihn als tragischen Charakter: Hässlich zur Welt gekommen, halten ihn seine Eltern mehr am Leben als dass sie ihn aufziehen, Gleichaltrige verstoßen ihn. Als junger Mann entdeckt er den Zirkus für sich und eifert einem Illusionisten nach. Aus Rache für eine Demütigung bringt er einen Jungen um und legt die Leiche ins Bett eines Mädchens, das ihm falsche Hoffnungen gemacht hat.

Gott der Menschenopfer

Edgar Jacobi beginnt eine Karriere als Zauberer „Moloch the Mystic“. Der Name Moloch stammt von einem kanaaitischen Gott ab, dem Kinder geopfert wurden. Genau genommen wurden damit zuerst die Brandopfer bezeichnet, bevor später daraus ein Gottesname wurde. „Moloch“ bedeutet sowohl ‚König‘ als auch ‚Schande‘ und er wird heute zivilsationskritisch auf Großstädte angewandt. In Jacobis Fall steht er für den Südenpfuhl, den er später betreibt. Moloch wird in Watchmen damit stellvertretend für alle anderen Schurken, gegen die die Superhelden kämpfen.

Da Jacobis Einkommen nicht ausreicht, verdient er sich etwas mit Banküberfällen und später auch Drogen hinzu. Die einzige Liebe, die ihm zuteil wird, muss er sich kaufen. Die Minutemen bringen ihn hinter Gitter, er bricht immer wieder aus, bis Dr. Manhattan dem ein endgültiges Ende bereitet. Für Moloch wird Dr. Manhattan ein Schock: Er ist kein Gegner, der Tricks benutzt, er ist allmächtig wie ein Gott. Von ihm gibt es kein Entkommen. Der selbsternannte Gott Moloch findet seinen wahren Meister und beendet seine Karriere.

Erlösung durch Ozymandias

Aber dann trifft er noch auf einen anderen Gott: Ozymandias. Adrian Veidt holt ihn vorzeitig aus dem Gefängnis, verschafft ihm einen Job in seiner Firma, lässt ihn Zigaretten an Janey Slater liefern und lässt beide an Krebs erkranken. Veidt verhält sich von Anfang an als Messias, der wie der Jesus von Rio die Arme ausbreitet und sagt: „Let me save you.“ Jacobi erweist sich als treuer und ergebener Diener.

Nachdem Jacobi unvorhergesehen vom Comedian auffgesucht wird, weiht er Veidt ein und Veidt tötet den Comedian. Dann erklärt Veidt Jacobi seinen Plan, um ihn als notwendiges Opfer für den Weltfrieden hinzustellen, als Erlöser nach dem Vorbild Christi. Veidt nimmt dabei die Rolle Gottes ein.  Jacobi ist überzeugt, denn der Plan ist für ihn „the most amazing magic trick in history“.  Er nimmt bereitwillig seinen Tod für den höheren Zweck an – und büßt damit auch für die Sünden, die er begangen hat.

Opfertod bringt Lebenssinn

Der einstige Opfergott Moloch wird selbst zum Opfer im christlichen Sinne umgedeutet, während Veidt sich als Gottmensch Ramses sieht und als Jesus inszeniert. Der eigentliche allmächtige Gott, Dr. Manhattan, wird später in Watchmen entmachtet, weil er die Notwendigkeit seines Nichteingreifens erkennt und sich zurückzieht, um eine neue Schöpfung zu beginnen.

Damit J. Michaels Straczynskis Vorgeschichte für Moloch funktioniert, wird getrickst: Eduardo Risso zeichnet den Charakter besonders hässlich, mit viel längeren Ohren als es Dave Gibbons tut. In Watchmen wirkt er wie ein normaler Mann, bloß mit leicht gespitzten Ohren, in Before Watchmen wird er zum kauernden Gnom mit unförmigem Kopf.

Durch die tragische Vorgeschichte läuft alles sehr geradlinig und spannungsarm auf eine Existenz am Rande der Gesellschaft hinaus, abgelehnt und ungeliebt wird Moloch zum prädestinierten Versager, der sich am Ende naiverweise ausnutzen lässt, aber darin doch Erlösung erfährt, indem sein Leben und noch viel mehr sein Tod einen höheren Sinn verliehen bekommen. Diese Wendung rettet auch dieses Prequel, indem es die Figur schließlich um eine interessante Facette bereichert.

Before Watchmen: Dr. Manhattan

Before Watchmen: Dr. Manhattan #1 Cover

DC Comics

Ein Comic ist in gewisser Weise wie Schrödingers Katze: Wenn man es noch nicht kennt, steckt es voller Möglichkeiten, es kann gut oder schlecht sein – und nach den Regeln der Quantenphysik ist es also zunächst beides. Der Betrachter, in diesem Fall der Leser, beeinflusst das Ergebnis. Nun sind Erwartungen bekanntlich verschieden. Wenn man ein Cover sieht mit dem Titel Before Watchmen: Dr. Manhattan, erwartet man wahrscheinlich genug Bekanntes, das einen an Watchmen erinnert, aber auch genug Neues, das den Kauf und – noch viel wichtiger – die Lektüre des Heftes rechtfertigt.

Hier kann man dabei zusehen, wie Autor J. Michael Straczynski (Before Watchmen: Nite Owl) selbst Dr. Manhattan spielt: Er nimmt Alan Moores Geschichte von Dr. Manhattan auseinander und setzt sie neu zusammen. Herauskommt genau betrachtet eine völlig neue Erzählung, aber im Grunde ist es doch dieselbe: Jonathan Osterman, Sohn eines deutschen Einwanderers, wird vom Uhrmacher zum Atomphysiker, wird durch einen Unfall in seine Bestandteile aufgelöst und setzt sich als allmächtiger Übermensch Dr. Manhattan neu zusammen, bekämpft das Verbrechen und wird zur Superwaffe der USA. Er verliebt sich in Silk Spectre.

Was wäre wenn-Szenarien

Straczynski versucht, die Geschichte neu zu rahmen, indem er das Gedankenexperiment von Schrödingers Katze einführt und daran aufgehängt seine Hauptfigur alternative Möglichkeiten durchspielen und durchleben lässt: Was wäre, wenn er heil aus der Kammer mit dem intrinsischen Feld herausgekommen wäre? Wenn er Janey Slater geheiratet hätte? Neue Möglichkeiten tun sich auf: Was wäre, wenn der Comedian in die Kubakrise eingegriffen hätte? Und wie hätte Ozymandias gehandelt? Wie wäre es, wenn jemand den Mord an Kennedy vereitelt hätte?

Zwar wird das alles mit parallel geführten Erzählsträngen durchgespielt, aber nur, damit Dr. Manhattan am Ende alle anderen Möglichkeiten eliminieren kann. Ohne Mehrwert ist das nicht. Neu ist, dass wir erstmals sehen, was mit Jons Familie in Deutschland geschah: Seine Mutter, eine Jüdin, wurde von den Nazis bei einem Fluchtversuch erschossen. Jon versteckte sich in einer Kiste auf einer Kutsche, die der Vater führte. Die Kiste wird zum Leitmotiv: die Kammer, die ihn auflöst, ist eine, auch der Sarg, in dem seine nicht vorhandenen Überreste beerdigt werden. Zurück bleibt das Gefühl der Leere.

Warum nichts jemals endet

Weil Dr. Manhattan seine Zukunft nicht deutlich sehen kann, aber ahnt, dass eine Katastrophe bevorsteht, verbündet er sich mit Ozymandias, um durch eine neue Technologie die Menschen von Atomenergie unabhängig zu machen. Um noch mehr Abwechslung reinzubringen, stellt Straczynski einige Seiten auf den Kopf, rückt sie dann wieder zurecht und wir lesen, wie Dr. Manhattan seinen kryptischen letzten Satz in Watchmen #12 erklärt: „Nothing ever ends“:

„I mean that the question, like the world, death life and the universe itself, are all matters of perspective.“

Alle Kisten enthielten Geheimnisse und damit Universen. Jon erschafft neues Leben auf anderen Planeten, um zu sehen, was dieser neuen ‚Kiste‘ entspringt. Ein neuer Kreislauf beginnt.

Wir Leser klappen das Heft zu und sehen: Dieser Kiste namens Before Watchmen entspringt der Dr. Manhattan, den wir bereits kennen. Das Neue ist bloß eine Variation des Alten. Der Kreislauf, dem wir zusehen, ist bloß das Recycling einer bekannten Geschichte. Nichts endet wirklich, weil man es nicht enden lässt, weil DCs Superhelden-Maschine aus unendlichen Geschichten Profit generiert. Deshalb muss auch Dr. Manhattan für Watchmen beim Wort genommen werden.

Hier wird uns alter Wein in neuen Schläuchen verkauft. Leider ist aber nicht einmal der neue Schlauch etwas wert, denn ein Comic ist nun mal kein Gefäß, das man leeren und für etwas anderes wiederverwenden kann, außer man übergibt es dem Altpapier-Recycling, um wenigstens dem Papier die Chance zu geben, etwas Neues zu werden, mit dem man mehr anfangen kann und das die Lesezeit wirklich wert ist.

Before Watchmen: Ozymandias

before watchmen: ozymandias cover

DC Comics

Ozymandias ist der vielleicht schwierigste Charakter in Watchmen: Er ist ein Held, der zum Schurken wird, er gilt als der klügste Mensch der Welt und bildet sich viel darauf ein, dadurch wirkt er abgehoben und unnahbar. Das trifft zwar auch auf Dr. Manhattan zu, aber anders als er hat Adrian Veidt keinen Bruch in seinem Leben. Der Tod seiner Eltern ist für ihn nur Ansporn, sich selbst ein ganz neues Leben aufzubauen – und das verläuft geradlinig auf der Überholspur (Watchmen #11)

Ein Prequel wie Before Watchmen hat es also nicht leicht, mit diesem Charakter über das hinauszugehen, was Alan Moore bereits mit ihm angestellt hat. Len Wein, der bereits bei Watchmen als Redakteur gedient hat, macht es sich leicht: Er erzählt die Geschichte nach, die Alan Moore bereits erzählt hat, und er schmückt sie ein wenig aus. Adrian Veidt liest schon als Kind Enzyklopädien, lernt Kampfkunst und Sprachen wie von selbst, wehrt sich brutal gegen Prügel anderer Kinder und investiert immer fehlerfrei an der Börse. Auf den Spuren seines Vorbilds Alexanders des Großen träumt er von einer befriedeten, vereinten Welt.

Weil er Gutes tun will, wird er zum Superhelden Ozymandias. Zunächst will er herausfinden, was mit Hooded Justice geschah und liefert sich sein erstes Duell mit dem Comedian. Dabei stellen sie fest, dass sie im Kampf einanander ebenbürtig sind, aber sonst bleibt das Treffen ohne Konsequenzen. Dann lässt Ozymandias die Ermittlung plötzlich fallen, weil ihn andere Dinge beschäftigen. Zum Beispiel der drohende Dritte Weltkrieg. Deshalb investiert er in Atombunker und baut sich eine Festung am Ende der Welt: Karnak in der Antarktis.

Comedian inspiriert zur Weltrettung

Nach dem gescheiterten Start der Crimebusters in den 60ern inspirieren ihn die Worte des Comedian dazu, die Menschheit vor dem Untergang zu bewahren (vgl. Watchmen #2). Da es ihm an Kreativität mangelt (immerhin eine Schwäche, die er zugibt), liest er Science-Fiction-Romane und schaut Filme und Serien, bis er auf die Outer-Limits-Episode „The Architects of Fear“ stößt und sie immer wieder schaut, bis er ihre Prämisse adaptiert: ein künstliches Alien zu schaffen, um die verfeindeten Nationen gegen einen gemeinsamen Feind zu vereinen.

Damit legt Len Wein explizit die Inspirationsquelle offen, die Alan Moore gedient hat, oder jedenfalls schon während der Entstehung von Watchmen als Parallele auffiel. Len Wein wollte ihn dazu bringen, von der Idee abzulassen und sich etwas Neues auszudenken, aber Moore blieb dabei. (In Watchmen #12 gibt es eine Anspielung auf Outer Limits.)

Uninspirierter Neuaufguss

Aber Wein ist auch nicht viel kreativer als sein Held oder der Autor, den er einst kritisiert hat. Denn was er in Ozymandias liefert, ist weitgehend bereits aus Watchmen bekannt. Wein schreibt nahezu wörtlich von Moore ab und füllt die Lücken, jedoch ohne dass es nötig wäre. „Tell almost the whole story“, rät die Autorin Anne Sexton. Es ist nicht nötig, alles zu erzählen. Eine Geschichte braucht auch Lücken, die die Leser mit ihrer Vorstellungskraft füllen. Watchmen war, auch was Ozymandias anging, ausführlich genug. Aber Wein langweilt seine Leser mit einem uninspirierten Neuaufguss des Altbekannten, indem er ihnen erzählt, was sie längst wissen, und was er Neues erzählt, wollte niemand wissen, weil man es sich denken kann.

Allein Zeichner Jae Lee liefert zumindest einen visuellen Mehrwert. Er lässt mit seinem einzigartigen Stil die Geschichte wie in einem surrealen Traum erscheinen, mit sparsamen Hintergründen, symmetrischen Layouts und symmetrischem Bildaufbau, dazu greifen kreisförmige Panels die Symbolik auf. Höhepunkt ist eine Kampfsequenz, die als Schattenriss vor gelbem Hintergrund die Schrift von Watchmen aufgreift.

Horace Smiths Ozymandias

Wenn Wein am Ende das Ozymandias-Gedicht von Horace Smith zitiert, das zeitgleich mit dem gleichnamigen von Percy Shelley in Konkurrenz zu seinem entstanden ist, dann deutet er damit zwar auch seine Konkurrenz zu Alan Moore an, ohne aber dessen Niveau zu erreichen. Allerdings liefert das Gedicht eine interessante neue Perspektive auf die Geschichte:

In Egypt’s sandy silence, all alone,
Stands a gigantic Leg, which far off throws
The only shadow that the Desert knows:—
„I am great OZYMANDIAS,“ saith the stone,
„The King of Kings; this mighty City shows
The wonders of my hand.“— The City’s gone,—
Naught but the Leg remaining to disclose
The site of this forgotten Babylon.

We wonder,—and some Hunter may express
Wonder like ours, when thro‘ the wilderness
Where London stood, holding the Wolf in chace,
He meets some fragment huge, and stops to guess
What powerful but unrecorded race
Once dwelt in that annihilated place.

Während der erste Abschnitt inhaltlich dem von Shelleys Gedicht ähnelt, macht der zweite einen Sprung in die Zukunft, in dem von einem zerstörten und verwilderten London die Rede ist. Ein Jäger, der die Ruinen sieht, fragt sich, was für ein mächtiges unbekanntes Volk einst hier gelebt haben mag.

Es ist eine Vorausahnung eines Untergangs: So wie wir uns über die Fragmente des alten Ägypten wundern, so werden es einst andere über unsere Zivilisation tun. Alles ist vergänglich. Zu Adrian Veidt passt dieses Gedicht auf gewisse Weise noch mehr zu als das von Shelley. Denn während Shelley mit den Worten endet „Look on my works, ye mighty, and despair!“, was angesichts des vergangenen Anspruchs ein Ausdruck von Ohnmacht ist, aber durch Veidts Verbechen neue Aktualität bekommt, handelt Smiths Ende von einer drohenden Auslöschung, was im Comic in Zusammenhang mit der Angst vor dem Dritten Weltkrieg  steht. Beide Gedichte ergänzen sich sehr gut. Das ist aber auch schon das Beste, was man über die Worte in Before Watchmen: Ozymandias sagen kann.

Before Watchmen: Nite Owl

before watchmen nite owl

DC Comics

Die Vorgeschichte von Nite Owl wurde in Watchmen nur in Worten erzählt: Hollis Mason schrieb seine Autobiografie Under the Hood, Daniel Dreiberg erzählte Laurie von seiner Superheldenkarriere in Watchmen #7, aber ohne Rückblenden. J. Michael Straczynski hat mit seinem Before Watchmen-Kapitel zusammen mit Andy und Joe Kubert aber nicht nur Bilder dafür gefunden, sondern sich eine eigene Story ausgedacht.

Daniel Dreiberg wird als Fanboy eingeführt, der seinen Helden Nite Owl bewundert und ihn zu seiner Höhle verfolgt, um ihm seine Dienste als Sidekick anzubieten. Die beiden arbeiten tatsächlich kurz zusammen, bis Hollis Mason aufhört und Daniel zum Nachfolger erklärt. Daniel adaptiert den Namen, aber macht Nite Owl zu einem Helden, der stärker von technischen Geräten abhängt, wie etwa dem Owl Ship Archimedes.

Nite Owl trifft Rorschach

Daniels Vorgeschichte wird um Abgründiges angereichert: Er hat einen Vater, der seine Frau schlägt. Mutter und Sohn lassen ihn nach einem Herzinfarkt sterben, bevor sie den Krankenwagen rufen. Daniel erbt das Vermögen und kann so seine Karriere als Verbrechensbekämpfer finanzieren. 1962 schließt sich ihm Rorschach auf eigene Initiative an und die beiden werden ein ungleiches Team. Dass der Einzelgänger diese Gesellschaft sucht, verwundert doch sehr.

Damit wird die Geschichte von Nite Owl auch eine von Rorschach. Auch seine Vorgeschichte wird noch einmal nacherzählt, er macht sich schon als Kind schuldig, einen Freier seiner Mutter getötet zu haben. Als Erwachsener besucht er die Kirche eines fanatischen Predigers, der gegen den Sittenverfall anredet und das Weltende verkündet. Nite Owl und Rorschach untersuchen einen Serienmord an Prostituierten, bis Rorschach per Zufall herausfindet, dass der Prediger die Leichen im Keller der Kirche stapelt.

Nite Owl lernt die Twilight Lady kennen, eine Prostituierte, die sich auf SM-Spiele spezialisiert hat. In Watchmen tut Daniel sie nur als verrückte Verehrerin ab, hier wird sie zu einer Gleichgesinnten und zur tragischen Liebe. Nite Owl legt vor ihr sogar seine Maske ab.

Eigentlich eine Rorschach-Story

Im Gegensatz zu anderen Prequels ist Straczynskis Nite Owl keine bloße Nacherzählung, sondern eine echte Ergänzung zu Watchmen. Das Kreativteam versucht gar nicht erst, die Bildsprache, Erzählstil oder Symbolik der Originalserie zu adaptieren, sondern es erzählt seine Geschichte in modernen Konventionen. Allerdings nimmt in dem Vierteiler Rorschach auch einen großen Teil ein, was einerseits zu einer besonderen Spannung mit Nite Owl und einigem Humor führt, andererseits fehlt ihm auch viel Erzählzeit und es kommt der Verdacht auf, dass Rorschach erst die Würze liefert, weil Nite Owl allein die Geschichte nicht trägt – oder man ihm nicht genug Potenzial zutraut.

Das allein wäre in Ordnung, wenn es nicht bereits ein Before Watchmen: Rorschach gäbe. Und da hier der Schurke am Ende Rorschachs Gegner ist, den auch Rorschach besiegt, kann man sich die Frage stellen, um wessen Geschichte es sich bei Nite Owl handelt. Rorschach scheint Nite Owls Story zu kapern, während Nite Owl sich mit der Twilight Lady im Bett vergnügt und Hollis Masons dunkelste Geheimnisse erfährt (siehe Before Watchmen: Minutemen).

Am Ende weiß man, woher Walter Kovacs sein „The end is nigh“-Schild hat. Ihm gehört das letzte Bild. Es ist ein sehr blutiger Hintergrund: Das menschliche Grauen, das Kovacs in Watchmen schildert, wird hier gesteigert – und zwar so sehr, dass man sich fragen kann, warum später davon nicht mehr die Rede ist. Prequels haben ihre eigene Logik. Wenn sie nicht nur Nacherzählungen sein wollen, sind sie im Grunde auch Fortsetzungen mit einem Anspruch, das Bekannte zu überbieten. Wenn es darum geht, zu überraschen, ist der Versuch geglückt. Das ist immerhin etwas, das man von einigen anderen Before Watchmen-Kapiteln nicht behaupten kann.

Before Watchmen: Rorschach

Rorschach

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New York im Jahr 1977. Vigilantentum soll verboten werden. Rorschach jagt Kriminelle: Drogenhändler und Zuhälter. Zugleich läuft ein Serienmörder herum, der Frauen tötet und seine Botschaften in ihre Körper ritzt. Doch Rorschach nimmt es zunächst mit dem Gangsterboss Rawhead auf, der sein Gesicht im Vietnamkrieg verloren hat. Dabei riskiert er mehrfach sein Leben. Einmal wird sein Leben verschont, doch als er von der Gang nicht ablässt, soll er von Rawhead in eine Falle gelockt werden.

Als Walter Kovacs ist er Kunde im Gunga Diner. Er pflegt eine Bekanntschaft mit einer Kellnerin. Einmal bringt sie ihn ins Krankenhaus, als er Blut spuckt. Er will sie daraufhin ausführen, sie verabreden sich, aber dann wird Walter als Rorschach von der Gang gefangen genommen und die Kellnerin wird inmitten eines stadtweiten Blackouts von dem Serienmörder angegriffen.

Brian Azzarello erzählt eine Geschichte im typischen Noir-Stil, den schon Alan Moore für Rorschach verwendete. Rorschach schreibt sein Tagebuch zunächst mit der Schreibmaschine, erst am Ende schreibt er mit der Hand. Die Parallele zu Taxi Driver ist nicht nur in Rorschachs Sicht auf New York deutlich, Azzarello lässt Rorschach sogar in einer Sequenz auf den Protagonisten des Films, Travis Bickle (Robert De Niro) treffen. Er hat Sympathien für Rorschach, ist gegen den Keene Act, und auch wenn er überall Ärger sieht, denkt er doch, dass es noch gute Menschen in der Stadt gebe, womit er auch sich selbst meint.

Lee Bermejo wertet den Comic mit seinem hyperrealistischen Stil auf, spielt mit dem symmetrischen Muster der Maske, indem er es in Schatten und Schuhsohlen aufgreift. Allerdings zeichnet er Rorschachs Maske nicht wie ein typisches Rorschachmuster, das aus Tintenflecken besteht, sondern zum Teil zackig und so, dass sie seine Mimik wiedergeben. Das ist eine fragwürdige künstlerische Entscheidung, denn in Watchmen war das Fehlen des Gesichtes eine Besonderheit des Charakters.

Ansonsten wird das Prequel seiner Vorlage weitgehend gerecht. Dieser Before-Watchmen-Vierteiler fügt sich nahtlos in sein Vorbild. Rorschach ist der unbestechliche Rächer, der am Ende das Unrecht vergeltet, das die Justiz zulässt. Walter Kovacs ist ein einsamer Mann, der wenigstens einmal versucht hat, eine Beziehung einzugehen. Aber die Welt, in der er lebt, gesteht ihm kein Glück zu. Darin besteht seine Tragik.

Interessant ist auch der Aspekt des Gangsterbosses Rawhead, der am Ende Rorschach die Maske wegnimmt und sich selbst aufsetzt, um nachvollziehen zu können, wie es sich anfühlt. Rorschach könne sich dadurch von anderen unterscheiden, sagt er, aber er, Rawhead, sehe damit aus wie jeder darunter. Er zieht los, um während des Stromausfalls gegen Plünderer vorzugehen. Doch kaum hat er einen mit einer Mikrowelle erschlagen, bringen ihn die anderen zu Fall. Die Maske allein verleiht keine Macht.

Before Watchmen: Rorschach erzählt eine einnehmendere, weil dichtere Geschichte als Azzarellos Comedian. Der Charakter wird hier greifbarer, allerdings wird er nicht um einen Mehrwert bereichert, der in Watchmen gefehlt hätte.

Before Watchmen: Comedian

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DC Comics

Der Comedian (Edward Blake) ist der Superheld, der nie einer war. Ein Nihilist ohne Moral, dem es bloß darum ging, Gewalt auszuüben. Wenn er am Anfang von Watchmen stirbt, bekommt er zwar ein Staatsbegräbnis, aber es ist kein Freund da. Seine ehemaligen Mitstreiter kommen eher aus Pflichtgefühl. Allein Sally Jupiter trauert um ihn, obwohl sie von ihm geschlagen und beinahe vergewaltigt wurde (Watchmen #2). In Vietnam erschießt er eine Frau, die er geschwängert hat. In Watchmen wird auch angedeutet, dass er für den Mord an John F. Kennedy verantwortlich ist.

Brian Azzarello baut diese Vorgeschichte in Before Watchmen nicht nur aus, er ändert sie auch. Bei ihm ist Blake ein Freund der Familie Kennedy. Zuerst bringt er für Jackie Marilyn Monroe um. Wenn John ermordet wird, ist er nicht einmal vor Ort, wahrscheinlich wurde er absichtlich zu einem Einsatz gegen Moloch geführt. Am Ende aber erschießt er Robert Kennedy nach dem versuchten Anschlag durch die CIA selbst.

Zwischendurch ist er im Vietnam-Krieg im Einsatz. Ursprünglich wird er nur als Symbol eingeplant, um die Moral der Truppen zu stärken, doch Blake macht sich selbständig. Mit anderen Soldaten massakriert er ein Dorf mit Zivilisten: Frauen, Kinder und Alte. Er handelt nach der Devise, keine Regeln zu kennen: „There is no line.“ Man könne keinen Krieg gewinnen, wenn man sich an die Regeln halte, der Feind tue es auch nicht. „Life is war. If you don’t win it, you lose it.“ Als Superheld könne er tun, was er wolle.

Gier lenkt von Politik ab

Aber Blake hat auch selbst sichtlich Spaß an der Grausamkeit. Er ignoriert die Risiken. Als er einmal nach Hause geschickt werden soll, greift er sich im fliegenden Helikopter einen Kameraden und springt mit ihm hinaus in den Dschungel. Für einen Überlebenskünstler wie ihn ist das ziemlich waghalsig. Intelligenter benimmt er sich in den USA, als er einen Aufstand damit beendet, dass er die Scheiben von Geschäften einschießt und die Menschen zum Plündern animiert. Er weckt die Gier, die sie von ihrer Wut ablenkt. Es ist ein düsteres Menschenbild, das hier gezeichnet wird.

Als Bobby Kennedy erfährt, welche Kriegsverbrechen Blake in Vietnam verübt hat, will er sie öffentlich machen. Blake sagt, er wolle ihm die Bürde abnehmen und sie selbst gestehen – daraufhin tötet er ihn. Zum Schluss setzt sich Blake in ein Auto und schlägt seinen Kopf gegen den Lenker. Der Amoralische zeigt ein Gewissen.

Comedian als Patriot

Brian Azzarello erzählt sprunghaft in Episoden von einem widersprüchlichen Leben: Einerseits voller Gewalt und Grausamkeit, andererseits auch von Freundschaft. Blake outet sich hier aber vor allem als Patriot. Nach diesem Wert sollen lieber die anderen als die eigenen Landsleute sterben.  Daher tut er, was er für die USA am besten hält.

Damit erschöpft sich aber auch seine Charakterzeichnung. In Before Watchmen trifft er weder auf Dr. Manhattan noch auf die Minutemen, es kommt allein zu einer kurzen Begegnung mit Rorschach und Nite Owl, bei der er die beiden abfällig behandelt. Azzrarello schafft es nicht, mit seiner Geschichte einen Mehrwert zu bieten, in dem Sinne, dass man Blake und sein Verhältnis zu anderen besser versteht. Es bleibt auch unklar, warum er an den Kennedys hängt, aber dann doch mit ihnen bricht.

Before Watchmen: Silk Spectre

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DC Comics

Laurie Juspeczyk (Jupiter) wird von ihrer Mutter Sally dazu ausgebildet, ihre Nachfolge als Superheldin Silk Spectre anzutreten. Sie lässt sie viel trainieren, sodass sie kaum Zeit für soziale Beziehungen hat. Vor allem von Jungs hält Sally ihre Tochter fern, schon seit Kindestagen. Im Jahr 1966 leidet Laurie unter ihrer Mutter, eine Klassenkameradin nennt ihre Mutter eine Schlampe, die sich für miese Filme verkauft hat und nur als Material für Pornoheftchen taugt. Dann wird es Laurie zu viel und sie brennt mit ihrem Freund Greg nach Kalifornien durch.

In San Francisco lebt sie in einer Hippie-Kommune und kämpft gegen einen Drogenring, der die Jugendlichen zum Konsum anregen will, aber die Drogen bringen vor allem ihre Konsumenten ins Krankenhaus.

Der Comedian mischt sich ein, zwingt Greg, sich von Laurie zu trennen, und nimmt sich von Laurie einen Smiley-Button mit, während sie schläft. Laurie schreibt Hollis Mason Briefe, er übermittelt der Mutter, dass es Laurie gut geht. Als er Laurie aufsucht, kann er ihr mit seinen Fäusten gegen zwei Komplizinnen des Drogengurus helfen.

Klischees und Oberflächlichkeit

Amanda Conner tut ihr Bestes, um mit Silk Spectre dem Vorbild Watchmen gerecht zu werden: mit dem Neuner-Panel-Raster, mit der Kreis-Symbolik, mit den Schlusszitaten und mit vielen Bild-Anspielungen auf das Original. Leider ergeht sie sich dabei auch in vielen 60er-Jahre-Klischees wie bunten Drogenräuschen und Orgien, die Beatles müssen auftauchen und der Schurke mit dem albernen Namen Gurustein zitiert das Hendrix-Album Electric Ladyland.

Der Story fehlt es an Einfällen, die die Geschichte für sich einnehmen lässt. Außer der Watchmen-Charaktere gibt es keinen neuen, der die Story bereichert. Laurie selbst erscheint als eine oberflächliche junge Frau, die sich nur dafür interessiert, Dr. Manhattan abzuschleppen.

Superheldin wider Willen

Das Hauptproblem ist aber: Laurie haut von Zuhause ab, weil sie den Drill und das Erbe ihrer Mutter nicht mehr erträgt, aber zieht sich dann in der Fremde doch ein Kostüm an, das sie zu Silk Spectre macht. Es ist zwar ein anderes Modell, aber sie übernimmt trotzdem die Rolle, die ihr ihre Mutter aufgebürdet hat. Dabei hat das Kostüm keine Funktion: Weder maskiert sie damit ihr Gesicht, noch schützt es vor Kugeln oder Klingen. Die Polizei zu rufen, scheint nie eine Option zu sein.

Damit wird die Emanzipation, von der diese Coming-of-Age-Geschichte handelt, untergraben. Das Superheldendasein wird zum unausweichlichen Zwang, ohne dass es dafür eine Notwendigkeit gäbe. Laurie will zwar, wie sie am Ende sagt, ihren eigenen Weg gehen, aber wird schließlich doch die Heldin, zu der sie ihre Mutter machen will – wenn auch wieder mit neuem Kostüm. Eine Rebellion, die keine ist.

Das führt dazu, dass dieses Prequel ebenfalls unnötig erscheint: Es bleibt ohne Auswirkung auf den Charakter in Watchmen und ohne großen Bezug zu den eigentlichen Themen des Comics wie Gewalt, Krieg und Frieden. Am Ende nimmt eine Deus ex machina Laurie die schwierige Entscheidung ab, ob sie ihren Gegner erschießen soll, und zieht das Finale ins Lächerliche.

Before Watchmen: Minutemen

before watchmen minutemen #1 cover

DC Comics

Ein Vierteljahrhundert lang war Watchmen eine in sich abgeschlossene Serie in einem eigenständigen Universum. Im Jahr 2012 entschied sich DC Comics dazu, in der Comic-Reihe Before Watchmen dieses Universum zu erweitern und Vorgeschichten erzählen zu lassen. Die Idee wirkt zunächst befremdlich. Nicht nur, weil Alan Moore sich dagegen gesträubt hat, sein Werk anzurühren, aber auch weil Watchmen bereits ausführlich die Vorgeschichten der Hauptcharaktere erzählt hat. Jede zweite Ausgabe war einem der sechs Helden gewidmet, dazu gab es in den Anhängen noch zahlreiches Zusatzmaterial, das einzelne Aspekte nicht nur vertiefte, sondern die Welt von Watchmen auch glaubhaft in einer eigenen Realität verankerte.

Die Geschichte der Minutemen, der Superheldengruppe aus den 40ern, mit der alles begann, erzählte Hollis Mason (Nite Owl) in seiner Autobiografie Under the Hood. Allerdings waren daraus nur Auszüge zu lesen, in Prosa statt in Comicform. Darwyn Cooke unternimmt in seiner sechsteiligen Minutemen-Serie den Versuch, Under the Hood in eine Bildsprache zu übersetzen und einige Lücken in der Geschichte auszufüllen. Zugleich erzählt Cooke, wie Hollis‘ Buch bei seinen ehemaligen Mitstreitern auf Widerstand trifft und welche Probleme er damit hat, es zu veröffentlichen.

Wiederkehr des Kreis-Symbols

Auch wenn das Coverdesign sich an Watchmen orientiert, fallen gleich zu Beginn mehrere Unterschiede auf: Das Cover zeigt kein Objekt in Nahaufnahme, sondern den Helden Nite Owl, es dient nicht als erstes Panel, das auf der ersten Seite als Sequenz weitergeführt wird, und das Seitenlayout folgt nicht dem strengen Neuner-Raster der Vorlage. Jedes der fünf weiteren Cover zeigt einen anderen Helden.

Trotzdem orientiert sich Cooke an dem Watchmen-Symbol des Kreises und der Zoomtechnik: Anfangs sieht man den Halbkreis eines Korbes, in dem ein Baby liegt, dann den Halbkreis, den ein Brückenbogen bildet, schließlich die Sonne mit Planeten, dann Dr. Manhattans Stirn mit dem Wasserstoff-Symbol und Zahnrädern, die ihn umgeben. Auf der zweiten Seite folgen Kanaldeckel, Motor und Uhr, während der Kreis in der Bildmitte von Panel zu Panel kleiner wird, so wie der Smiley-Button in Watchmen #1. (Das Prinzip wiederholt sich jeweils am Anfang jeder Ausgabe und am Ende der letzten.)

Silhouette

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In dieser ersten Sequenz reflektiert Mason darüber, das ein Mensch im Laufe eines Lebens seine Sicht auf die Welt ständig erweitert und schließlich irritiert wird, sodass man seinen Halt in den Dingen sucht, die einem einst Freude gebracht haben. Mason erlebte seinen Irritationsmoment durch den Kulturschock, den Dr. Manhattan auslöste. Mason gab das Heldendasein auf und wandte sich dem Reparieren von Autos zu, einfache Probleme, die sich lösen ließen.

Mason schreibt zu Beginn den Epilog zu Under the Hood. „I’ll just have to face facts, girl“, sagt er zu seiner Hündin. „I’m no Tolstoy.“ Es wirkt, als würde sich Autor Darwyn Cooke darin reflektieren, dass er sich hier mit dem Vorbild Alan Moore misst, ohne jemals sein Niveau zu erreichen. Zugleich gibt Mason zu, dass er beim Schreiben selbst eine beschränkte Perspektive hat, dass er nur sieht, was er sehen will – und zwar nur das Gute. In diesem Moment hält er das Gruppenbild der Minutemen hoch, und zwar so, dass die Uhr auf seinem Kamin die abgeschnittene Uhr auf dem Bild vervollständigt. Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen, zugleich wird Erinnerung durch die Sicht der Gegenwart betrachtet und also auch ergänzt. Erzählen ist also immer unzuverlässig. Der Zeiger steht auf kurz nach acht, acht Menschen sind auf dem Bild zu sehen. „Eight Minutes“ heißt das erste Kapitel.

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In der Folge führt Mason die einzelnen Minutemen ein: den geheimnisvollen Hünen Hooded Justice, der Verbrecher aus dem Fenster wirft, Silk Spectre, die Räuber fängt und für die Presse posiert, während ihr Mann und Manager Larry Schexnayder die Polizei besticht, Nite Owl, der in waghalsigen Manövern Bankräuber zur Strecke bringt und dabei Zivilisten rettet,, die er selbst in Gefahr bringt.

Der Comedian ist von Anfang an mehr Schurke als Held, ohne Moral und mit einem Hang zur Brutalität, Dollar Bill mehr eine Werbefigur als ein Superheld, Mothman stürzt sich betrunken vom Dach, als er fliegt. Allein the Silhouette scheint ihre Mission selbstlos auszuführen und ernst zu nehmen. Sie widmet sich den abgründigen Verbrechen und den hilflosesesten aller Opfer zu: Sie verfolgt einen Kinderpornografie-Ring.

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Captain Metropolis (Nelson Gardner), ein ehemaliger Marine, kontaktiert Silk Spectre und castet mit ihr die anderen sechs Helden, die daraufhin zu den Minutemen werden. Doch schon die erste Mission ist ein Reinfall. Als sie Waffenschmuggler hochnehmen wollen, erweisen sich die Waffen als Feuerwerk. Um die Blamage nicht zugeben zu müssen, belügt Captain Metropolis die Presse.

Später will Silhouette die anderen dafür gewinnen, mit ihr gegen den organisierten Kindesmissbrauch vorzugehen, aber Silk Spectre und ihr Mann sind aus Publicity-Gründen dagegen: Man soll bei den Minutemen nicht an traurige missbrauchte Kinder denken, sondern an positive Dinge. Verbrechen müssen sich mit Fäusten lösen lassen. Nur Nite Owl schließt sich ihr an und sie arbeiten zusammen an dem Fall. Er bestimmt den roten Faden der Handlung, der auch Hooded Justice zum Hauptverdächtigen macht. Nite Owl ist es auch, der Silhouette nach einem Einsatz das Leben rettet, indem er sie zu Gretchen bringt, einer Ärztin, mit der sie im Geheimen zusammenlebt. Später wird das Paar gemeinsam ermordet.

Comedian

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Als der Comedian nach seinem Angriff auf Sally ausgeschlossen werden soll, deutet Dollar Bill an, sie habe es darauf ankommen lassen. Ähnlich äußert sich Hooded Justice bereits in Watchmen #2. Der Comedian rechtfertigt sich, dass die anderen kein Recht haben, ihn zu verurteilen, weil sie selbst Heuchler seien. Später trifft er Sally bei Silhouettes Beerdigung und erzählt ihr von den Grauen, die er im Zweiten Weltkrieg erlebt hat, von einer Familie, die ihn aufgenommen und gesund gepflegt hat, und davon, wie sie vor seinen Augen vom US-Militär getötet wurde. Damit wird ansatzweise Sallys Sinneswandel erklärt, der dazu geführt hat, dass sie mit ihm Laurie (Silk Spectre II) gezeugt hat.

Geschichte wird verändert

Darwyn Cooke ändert einige Aspekte der Geschichte: Silk Spectre ist zunächst nicht mit Hooded Justice zusammen, sie tut nur so. In Wahrheit hat er ein Verhältnis mit Captain Metropolis. Bereits in Watchmen hat Sally Jupiter angedeutet, dass manche Minutemen schwul gewesen seien, ohne zu verraten, wer.  Aber nicht nur, dass die Helden ihre Homosexualität geheim halten, sie setzen sich auch nicht für Silhouette ein, als herauskommt, dass sie eine Lesbe ist. Sie muss das Team verlassen und wird später mit ihrer Partnerin ermordet. Silk Spectre rächt ihren Mord, indem sie selbst zur Mörderin wird – auch das ist eine nachträgliche Änderung von Cooke, genauso wie dass Nite Owl Hooded Justice tötet, weil er ihn für einen Kindermörder aus Silhouettes Vergangenheit hält.

Nur die halbe Wahrheit

In der Rahmenhandlung muss Hollis Mason sein Buch verteidigen: Schexnayder ist gegen eine Publikation, ein Freund von Nelson Gardner will ihn verklagen, Sally will nicht bloßgestellt werden. Schließlich droht ihm der Comedian und erklärt ihm, er habe selbst ein Kind entführt und sich als Hooded Justice ausgegeben, um sich an ihm zu rächen. Mason hat auf der Suche nach dem wahren Täter den Falschen getötet. Auch er hat kein reines Gewissen mehr.

Mason sieht ein: „There were things that were more important than the truth.“ Er streicht daraufhin problematische Passagen aus seinem Buch, nur die versuchte Vergewaltigung lässt er drin. Im Nachhinein wird deutlich, warum er nur einen Teil der Geschichte erzählt und warum auch ein Teil der Uhr fehlt: Under the Hood erzählt nur die halbe Wahrheit.

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Before Watchmen: Minutemen ist wie sein Vorbild ein Abgesang auf Superhelden, wie auch auf das Heldentum insgesamt. Es ist alles nur mehr Schein als Sein, es geht selten darum, das Richtige zu tun, und wenn man es doch tut, dann fordert es stets einen hohen Preis. Selbst Hollis Mason wird hier zum Versager, der falsche Schlüsse zieht und sich instrumentalisieren lässt, am Ende sogar einen Unschuldigen tötet. Es gibt hier keine Helden. Und das ganze Konzept hinter den Minutemen erscheint fragwürdig. Die wahren Heldentaten vollbringen andere, wie etwa die beiden Japaner, die New York vor einem nuklearen Terroranschlag bewahren.

Darwyn Cooke bereichert die Geschichte der Minutemen um neue Aspekte, die sich gut in Alan Moores Erzählung einfügen. Er erklärt schlüssig, was bislang gefehlt hat, und versucht, sogar dem Comedian etwas Menschlichkeit abzuringen, der in Watchmen nur im Angesicht von Adrian Veidts Grausamkeit Betroffenheit zeigt. Dafür findet er eine eigene Bildsprache, die mehr seinem dynamisch-cartoonhaftem Stil entspricht und ohne dass er sich bei Dave Gibbons anbiedern muss.

Lesen wird zur Gewissensfrage

Notwendig ist die Lektüre natürlich nicht, allein schon weil sie nicht von Alan Moore autorisiert ist, aber als Neu-Interpretation kann man Before Watchmen: Minutemen durchaus gelten lassen. Allerdings gibt es einen gewaltigen Selbstwiderspruch: Hollis Mason räumt am Ende ein, dass nicht alles erzählt werden müsse. Er zensiert sich selbst. Damit annulliert auch der Autor Darwn Cooke die Geschichte, die er soeben erzählt hat – obwohl es dafür bereits zu spät ist.

Am Ende steht also nur Under the Hood da in der Fassung, die wir kennen. Nicht die ganze Wahrheit, aber eine von vielen. Und gleichzeitig legitimiert sich Cooke auch, wenn er den Comedian sagen lässt, es gebe nicht nur eine, sondern mehrere Wahrheiten. Im Falle von Watchmen und Before Watchmen kann man sich eine aussuchen. Der Leser hat die Wahl, wie er auch die Wahl hat, ob er die Prequels liest oder nicht. Am Ende ist das auch eine Gewissensfrage. Wenn man wie Hollis Mason entscheidet, ignoriert man Before Watchmen oder streicht es nach der Lektüre aus seinem persönlichen Kanon.

>> Watchmen-Bibliografie