
Cover zu DC Universe Rebirth #1 (DC Comics)
Das DC-Universum der Superhelden hat viele Wandlungen durchgemacht: Das ausufernde Personal, Parallelwelten und Zeitlinien wurden immer wieder in Events mit „Crisis“ im Titel neu geordnet, bereinigt und verkompliziert. Zuletzt wurde Flashpoint (2011) zum Anlass für einen Komplett-Reboot. Nur die Welt von Watchmen blieb immer ihre eigene. Sie wurde zwar mit Before Watchmen 2012 in mehreren Prequels erweitert (gegen den Willen Alan Moores), aber sie blieb für sich bestehen. Ergänzungen oder Fortsetzungen hat dieses Werk nicht nötig. (Auch wenn es selbst auf der Adaption von Superhelden aus dem Hause Charlton Comics beruht.)
Im Jahr 2016 änderte sich das. Mit DC Universe Rebirth #1, einer Art „Soft Reboot“, wurde versucht, einige Charaktere, die 2011 mit The New 52 abgeschafft wurden, wieder einzuführen, wie etwa Wally West (Flash). Aber um überhaupt zu erklären, warum sie verschwunden sind, wurde angedeutet, dass Dr. Manhattan dafür verantwortlich sein könnte.

The Button (DC Comics)
Am Ende des Specials entdeckt Batman in der Bathöhle den blutbefleckten Smiley-Anstecker des Comedian aus Watchmen. Im Epilog sieht man, wie auf dem Mars die kaputte Armbanduhr von Wally West wie durch Geisterhand repariert wird, dazu wird der kurze Schlussdialog zwischen Dr. Manhattan und Adrian Veidt (Ozymandias) aus Watchmen #12 zitiert: „I did the right thing, didn’t I? It all worked out in the end“, sagt Adrian. – „In the end?“, sagt Dr. Manhattan. „Nothing ends, Adrian. Nothing ever ends.“ Damit rechtfertigt Autor Geoff Johns indirekt seine Absicht, Watchmen fortzusetzen: Wenn nichts endet, dann auch nicht das.
Das letzte Bild zeigt eine gelbe, blutbefleckte Uhr, die auf viertel vor zwölf steht. Darunter der Satz: „The Clock is ticking across the DC Universe!“ Und damit endet Rebirth #1.
Die Geschichte wird fortgesetzt in dem Vierteiler: Batman/Flash: The Button (2017). Der Reverse-Flash (Eobard Thawne) greift Batman in der Bathöhle an, doch als er den Button an sich nimmt, verschwindet er und kehrt kurz darauf wieder, um zu sterben. Seine letzten Worte: „I saw … God.“ Damit leitet die Handlung über zu Doomsday Clock, der Fortsetzung von Watchmen, die diese Welt mit dem DC-Universum verbindet.
Der Titel bezieht sich auf das Symbol der Atomkriegsuhr, das bereits in Watchmen auftauchte und anzeigt, wie nah die Menschheit vor dem Weltuntergang steht. Erfunden wurde die Doomsday Clock 1947 vom Science and Security Board der wissenschaftlichen Zeitschrift Bulletin of the Atomic Scientists. Zu Beginn stand sie auf sieben Minuten vor Mitternacht. 1984 stand sie bei drei Minuten und blieb dort auch, als Watchmen herauskam (1986-1987). 2007 wurde auch die Gefahr des Klimawandels in die Berechnung miteinbezogen. Seit 2018 steht sie auf zwei Minuten vor Mitternacht.
Das Ende ist da

DC Comics
Doomsday Clock, geschrieben von Geoff Johns und gezeichnet von Gary Frank, orientiert sich an Struktur und Stil von Watchmen: Es sind zwölf Ausgaben, die Layouts entsprechen häufig dem Neuner-Raster, und auch die Cover bilden jeweils die ersten Panels.
Die erste Ausgabe beginnt anders als Watchmen #1 nicht mit einem Smiley, sondern mit einer Gruppe wütender Demonstranten. Einer hält ein Schild hoch mit der Aufschrift: „THE END IS HERE“, eine Zuspitzung des Schildes, das Walter Kovacs trug („THE END IS NIGH“). Auf einem anderen steht, in Anspielung auf Donald Trump, „Make America Save Again“. Die Demonstranten kippen ein Polizeiauto um, Polizisten stehen mit Knüppeln vor der Veidt-Zentrale, ein Demonstrant hat eine abgebrochene Flasche in der Hand. Wie schon auf Seite 1 von Watchmen #1 zoomt die Perspektive raus vom Kleinen ins Große.

Demonstranten verkünden das Ende der Welt.
Ein neuer Rorschach
Wieder lesen wir den Auszug aus einem Tagebuch, Schrift und Stil erinnern an Rorschach und tatsächlich erfahren wir auf Seite 6, das es einen neuen Rorschach gibt. Die Handlung setzt im November 1992 ein, sieben Jahre nach den Ereignissen von Watchmen. Auf den ersten Seiten erfahren wir, dass Adrian Veidts getürkte Alien-Invasion aufgeflogen ist, eine neue Eskalation zwischen den USA und Russland bahnt sich an, die Welt steht wieder am Abgrund, die Menschen sind aufgebracht. Adrian Veidt ist verschwunden und wird weltweit gesucht, um für sein Verbrechen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die Pressefreiheit wird eingeschränkt: Zeitungen, die damals die Lüge aufgedeckt haben, wurden geschlossen.

Aufstand gegen die Polizei.
Der neue Rorschach orientiert sich am alten: Die Tagebucheinträge erinnern an den des 12. Oktober 1985. Statt des Kadavers eines toten Hundes auf der Straße beschreibt er die Leichen, die nach der Alien-Teleportation auf den Straßen lagen. Bei den Schreien ist von Echokammern ist die Rede, statt von Prostituierten und Politikern von „undeplorables“ (Nicht-Bedauernswerten), die die andere Seite für ihre Misere verantwortlich machen. „Their tolerance is a one-way street.“

Aufstand gegen Adrian Veidt.
Die Totalitären schauen weg und predigen die Rückkehr zu rosigeren Zeiten, ohne zu bemerken, dass diese Zeiten für die anderen nicht so rosig waren. Jetzt wirkt die Menschheit wie ein verlassenes Kind: „God turned his back, left paradise to us. Like handing a five-year-old a straight razor.“ Die Metapher wird zu einer unappetitlichen Allegorie ausgeschmückt. Kurz gesagt: der Menschheit geht es dreckiger als je zuvor.
Daher sieht Rorschach dem Weltende entgegen: Nur noch die Insekten werden bald überleben und sich um die Überreste der Gemäßigten bekriegen. „Maybe the world should burn this time.“ Während in Watchmen #2 der Comedian noch verkündete, der Amerikanische Traum sei (mit ihm) wahrgeworden, schreibt Rorschach II: „We shattered the American Dream. This is the American Nightmare.“

Erinnerungen an den Comedian werden wach, wenn Glas zu Bruch geht.
Weitere Parallelen zu Watchmen tun sich auf: Statt des Comedian sehen wir einen Ziegelstein und später einen Stuhl durchs Fenster fliegen, ein Demonstrant wird erschossen und landet im Brunnen des Foyers von Veidt, wie einst der Attentäter, den er auf sich selbst angesetzt hat. Gleichzeitig dringen Soldaten in Karnak ein und finden nur leere Räume vor, darunter einen Behandlungsraum mit dem Röntgenbild eines Schädels mit einem Tumor.

Die große Lüge lässt Fenster zu Bruch gehen.
Der US-Präsident schweigt zu all dem und spielt in der Zwischenzeit Golf, die Medien vermelden seine Erfolge dabei – wieder ein Seitenhieb auf Trump. Ein Sprecher verkündet über den staatlichen Sender National News Network (dessen Logo an umgedrehte SS-Runen erinnert), dass wenn die Russen ihre Panzer nicht in vier Stunden aus Polen zurückziehen, der Präsident mit „voller Macht“ zurückschlagen wird. Das Land wird evakuiert.
Zwei neue Figuren: Marionette und Mime
Rorschach dringt in ein Gefängnis ein und befreit zwei Insassen: die Schurken Marionette und Mime (Adaption von Charltons Figuren Punch and Jewelee). Während Rorschach durchs Gefängnis geht, erzählt er von seinem Pancake-Frühstück in einem Diner. Weil seine Kellner von ihrem Freund geschlagen wurde, hat er ihm die Hände gebrochen und eine Gabel in die Zunge gestochen. Dadurch hat er das Frühstück versäumt. Der neue Rorschach scheint ganz der Alte zu sein.

Einbruch ins Gefängnis: der neue Rorschach.
Während er die Zellentür von Marionette (Erika Manson) aufschließt, bringt das US-Militär mit Schlüsseln die Atomraketen in Bereitschaft. Mit dem Foto ihres kleinen Sohnes überredet er sie, mitzukommen. Die Mission: „Find God. Save world.“ Marionette besteht darauf, ihren Mann Mime (Marcos Maez) mitzunehmen. Aus Unruhe darüber, dass das Gefängnis nicht evakuiert wird, übernehmen die Insassen die Anstalt und gehen auf Mime los, er rächt sich brutal. Bevor das Paar mit Rorschach flieht, nimmt Mime noch seine unsichtbaren Waffen mit. Die Szene erinnert sehr an Watchmen #8, wenn Laurie und Daniel Rorschach aus dem Gefängnis befreien. Auch Rorschach besteht später darauf, sein Kostüm zu holen.

Nite Owl fehlt: Rorschach mit Owl Ship „Archie“.
In Doomsday Clock fährt Rorschach Marionette und Mime zu Daniel Dreibergs Owl Cave, wo sie auf Ozymandias treffen. Er erklärt ihnen, dass er Krebs hat und dass er Dr. Manhattan (Jonathan Osterberg) finden will, um die Welt zu retten. Er bietet dem Verbrecherpaar 200 Millionen Dollar an. Währenddessen herrscht in New York eine Massenpanik: Menschen verlassen die Stadt, auf der Brücke bildet sich ein Stau.
Marionette Superman
Im Epilog sehen wir Clark Kent neben Lois Lane in Metropolis schlafen. Er träumt davon, wie seine Eltern ihn zu einem Schulball fahren. Clark fühlt sich unwohl im Anzug, er will nicht so tun, als wäre er wie alle anderen, die denken, er sei ein Versager. Sein Vater tröstet ihn: Eines Tages werde er die Welt an seinem Geheimnis teilhaben lassen. „It’s not you, Clark. It’s the world“, sagt Jonathan Kent. Die Welt ist verkehrt, nicht er. Als die Eltern zurückfahren, haben sie einen Unfall und sterben. Dann erwacht Clark aus seinem Traum und sagt Lois, er habe noch nie einen Albtraum gehabt. Wenn der „American Nightmare“ wahr wird, gebiert auch bei Superman der Schlaf der Vernunft Ungeheuer.

Clark Kents Bettlektüre: „Walden Two“.
Auf Clarks Nachttisch liegt das Buch Walden Two von B.F. Skinner aus dem Jahr 1948. Es ist ein zentrales Werk des radikalen Behaviorismus, das eine utopische Gesellschaft entwirft. Der Titel ist eine Anspielung auf Henry David Thoreaus Walden (1854). Im Gegensatz zu Thoreau geht es bei Skinner nicht um Selbstverwirklichung in der Einsamkeit, sondern in der Gesellschaft – daher ist der Titel auch als „Walden for two“ zu verstehen. Skinner schreibt auch, dass das Verhalten des Menschen nur von seiner Umwelt geprägt wird und es daher auch geformt werden kann.
Wie Superman strebt auch Ozymandias eine bessere Gesellschaft an und denkt, dass er das menschliche Verhalten in die richtigen Bahnen lenken kann. Der Unterschied ist, dass Ozymandias nicht vor Massenmord zurückscheut. Der Zweck heiligt für ihn die Mittel. Sein Plan aus Watchmen ist zwar gescheitert, trotzdem hält er an seiner Utopie einer friedlichen Menschheit fest.
Skinner lehnt darüber hinaus die Existenz einer Seele und den freien Willen ab. Damit führt Doomsday Clock in gewisser Weise den Determinismus fort, der schon bei Dr. Manhattan in Watchmen #9 angeklungen ist: „We’re all puppets, Laurie. I’m just a puppet who can see the strings.“
Dieser Satz bekommt hier eine doppelte Bedeutung: Zum einen wird mit Marionette eine Figur eingeführt, die Dr. Manhattans Metapher zu verkörpern scheint. Zum anderen wird angedeutet, dass Superman auch nur eine Marionette in einem größeren Zusammenhang ist. Im Epilog tut er als junger Mann bereits, was seine Eltern von ihm verlangen, und nicht, was er will. Seine Eltern sterben ohne eigenes Verschulden: Ein Laster rammt sie, als er bei Rot über die Ampel fährt. Die Kents prallen daraufhin gegen einen Baum – sie sind Opfer der Umstände. Später wird sich herausstellen, dass bei Superman Dr. Manhattan die Fäden in der Hand hält.
Ein anderes Ozymandias-Gedicht
Der Titel, „An Annhilated Place“, bezieht sich auf das Ozymandias-Gedicht von Horace Smith, das in Konkurrenz mit dem gleichnamigen von Percy Shelley geschrieben wurde und am Ende kurz zitiert wird. Len Wein hat es bereits am Ende von Before Watchmen: Ozymandias in voller Länge wiedergegeben:
In Egypt’s sandy silence, all alone,
Stands a gigantic Leg, which far off throws
The only shadow that the Desert knows:—
„I am great OZYMANDIAS,“ saith the stone,
„The King of Kings; this mighty City shows
The wonders of my hand.“— The City’s gone,—
Naught but the Leg remaining to disclose
The site of this forgotten Babylon.We wonder,—and some Hunter may express
Wonder like ours, when thro‘ the wilderness
Where London stood, holding the Wolf in chace,
He meets some fragment huge, and stops to guess
What powerful but unrecorded race
Once dwelt in that annihilated place.
Smiths Gedicht behandelt zwar dasselbe Motiv wie Shelleys, aber es bietet eine interessante neue Perspektive: Während der erste Abschnitt inhaltlich dem von Shelleys Gedicht ähnelt, macht der zweite einen Sprung in die Zukunft, in dem von einem zerstörten und verwilderten London die Rede ist. Ein Jäger, der die Ruinen sieht, fragt sich, was für ein mächtiges unbekanntes Volk einst hier gelebt haben mag.
Es ist eine Vorausahnung eines Untergangs: So wie wir uns über die Fragmente des alten Ägypten wundern, so werden es einst andere über unsere Zivilisation tun. Alles ist vergänglich. Im Kontext von Doomsday Clock wirkt es noch passender als das von Shelley. Denn während Shelley mit den Worten endet „Look on my works, ye mighty, and despair!“, was angesichts des vergangenen Anspruchs ein Ausdruck von Ohnmacht ist, aber durch Veidts Verbechen neue Aktualität bekommt, handelt Smiths Ende von einer drohenden Auslöschung, was in Doomsday Clock den tatsächlich eintreffenden Dritten Weltkrieg meint. Aber davon später mehr.
Pingback: Doomsday Clock #8: Save Humanity | Watching the Watchmen
Pingback: Doomsday Clock #10: Action | Watching the Watchmen
Pingback: Neues Watchmen-Spin-off: „Rorschach“ | Das Batman-Projekt
Pingback: Watchmen 1.9: See How They Fly | Watching the Watchmen