
„I’m just a puppet who can see the strings“: Dr. Manhattan mit Puppenspieler. (HBO)
Saigon in Vietnam, dem 51. Bundesstaat der USA. Es ist VVN (Victory over Vietnam) Day 1987: Auf der Straße wird der Mann gefeiert, der den Sieg einst ermöglichte und den Vietnamkrieg beendete: Dr. Manhattan. „An Almost Religious Awe“, hat Jon Osterman die Verehrung der Vietnamesen für ihn einst genannt. Hier wird sie greifbar. Menschen tragen blauen Masken und Kostüme, ein Puppenspieler führt auf, wie Dr. Manhattan den Vietcong mit Feuer aus seinen Händen besiegt. Die Szene greift die Metapher auf, die Dr. Manhattan in Watchmen #9 selbst benutzt, als er Laurie klarmacht, dass alles vorherbestimmt ist: „We’re all puppets, Laurie. I’m just a puppet who can see the strings.“ Hier wird er zur Marionette des vietnamesischen Widerstands gegen die US-Besatzer, reines Wunschdenken, aber nur scheinbar harmlos.
Die kleine Angela Abar schaut dem Puppentheater zu. Dazu werden Szenen aus dem Massaker von Tulsa gegengeschnitten. Da wir die Erinnerungen der erwachsenen Angela sehen, die noch unter dem Einfluss der Nostalgia-Pillen steht, verschmelzen sie in der Rückblende mit denen ihres Großvaters. Das verniedlichende Puppenspiel wird so zur Darstellung eines Massenmords. Kurz darauf wird Angela selbst Zeugin eines Mordes.

„The Nun with the motherfucking gun“: Sister Night als VHS. (HBO)
Angela leiht sich eine Videokassette aus: „Sister Night“, ein Blaxploitation-Film, für den sie noch zu jung ist. Ihre Eltern erklären ihr zum wiederholten Male, dass sie ihn nicht sehen darf. „People who wear masks are dangerous“, sagt ihr Vater, ein US-Soldat. „And you should be scared of them. They’re hiding something.“ Auch Angelas Argument, dass es nur Fiktion sei, lässt er nicht gelten: „It’s just pretend until it’s real.“ Er spricht aus Erfahrung: Sein Vater, Will Reeves ist der ehemalige Superheld Hooded Justice.
Das Trauma von Sister Night
Als Angela den Film zurückgeben will, sieht sie, wie ein Radfahrer vom Puppenspieler einen Rucksack abholt und sich anschließend selbst in die Luft sprengt. Ihre Eltern sterben dabei. Angela überlebt den Terroranschlag gegen die Besatzungsmacht, weil ihr Vater sie vor dem schlechten Einfluss des Films bewahren wollte. Nur, dass die wahre Gefahr von Menschen ausging, die keine Masken trugen. Dass Menschen nicht sind, was sie scheinen, oder zumindest vorgeben, jemand oder etwas anderes zu sein, ist das durchgehende Thema dieser Episode.
Trotz oder gerade wegen dieser Erfahrung wird Angela später selbst zu Sister Night. Obwohl sie schon als Kind den Unterschied zwischen Fiktion und Realität erkennt, sorgt sie selbst dafür, dass Fiktion Realität wird. Damit bestätigt Angela Laurie Blakes Verdacht, dass auch sie unter einem Trauma leidet (Watchmen Episode 4), und folgt, ohne es zu wissen, ihrem Großvater nach, der sich ebenfalls von einem Leinwandhelden inspirieren ließ: Bass Reeves, dessen Namen er sogar annahm. Geschichte wiederholt sich, in der TV-Serie wie im Comic.
Als Angela im Waisenhaus lebt, wird sie weiterhin von Dr. Manhattan verfolgt: Zusammen mit anderen Kindern malt sie Puppen von ihm an, was auch ihr Trauma noch verstärken dürfte. Dann wird sie von der Polizei als Zeugin befragt, um den Puppenspieler zu identifizieren. Kurz darauf wird er von der Polizei erschossen. Angela gibt sich davon ungerührt. Eine Polizistin überreicht ihr eine Polizeimarke, Angela sieht darin ihre Berufung. Dann trifft ihre Großmutter ein, um sie nach Oklahoma zu bringen. Sie erlaubt ihr, den Sister-Night-Film zu schauen, aber dazu kommt es nicht: Sie stirbt, bevor sie Angela nach Tulsa bringen kann.
Keene will Manhattan werden
Im Jahr 2019 kommt Laurie Blake hinter den Mord an Jud Crawford und wird daraufhin von der Seventh Kavalry gefangen genommen. Jane Crawford gesteht ihr, dass der ursprüngliche Plan darin bestanden habe, Senator Joe Keene zum US-Präsidenten zu machen. Er selbst erklärt es so: „We’re not racist. We’re about restoring balance in those times when our country forgets the principles upon which it was founded. Because the scales have tipped way too far.“ Was das genau bedeutet, bleibt offen. Dass es ihm aber doch um „Rassen“ geht, wird deutlich, wenn er gleich darauf sagt: „And it is extremely difficult to be a white man in America right now. So I’m thinking I might drop me in a blue one.“

Is there life on mars? Nein, Dr. Manhattan lebt mitten unter uns. (HBO)
In der Zwischenzeit erklärt Lady Trieu Angela, dass Dr. Manhattan nicht auf dem Mars lebt, sondern in Tulsa und sich als Mensch ausgibt. Keene wolle Dr. Manhattan fangen, zerstören und sich seine Kräfte einverleiben. „Can you imagine that kind of power in the hands of white supremacists?“ Trieu will das verhindern, um die Menschheit zu retten.
Angela fragt nicht, wer Dr. Manhattan ist, sie weiß es längst: Als sie nach Hause kommt, schlägt sie ihrem Mann Cal den Kopf ein und holt einen Metallring aus seinem Schädel, um Dr. Manhattan sein Gedächtnis wiederzugeben. Alles geschieht wie vorhergesehen.
Am blauen Leuchten in Angelas Gesicht sieht man, dass Cal tatsächlich nur die menschliche Maske ist, hinter der sich der gottgleiche Superheld verbirgt. Auch Dr. Manhattan, der bisher kein Geheimnis aus sich gemacht hat (wofür auch die Nacktheit ein Symbol war) bekommt hier eine Geheimidentität – und zwar eine, von der er selbst nichts weiß. Angela macht sie zunichte, um ihn zu retten. Dafür tötet sie aber nicht nur die Rolle Cal, sondern setzt auch Ereignisse in Gang, durch die später Dr. Manhattan stirbt. Es lässt sich nicht verhindern, denn alles ist vorherbestimmt. Insofern wiegen Angelas letzte Worte in der Folge umso schwerer: „We’re in fucking trouble.“
Auf Europa wird Adrian Veidt nach einem 365-tägigen Prozess für sein Verbrechen an der Menschheit verurteilt, den Massenmord in New York. Die Jury besteht aus Schweinen, seinem Niveau angemessen. Es wirkt wie ein großes absurdes Schauspiel, aber Veidt wirkt teilnahmslos und gelangweilt.
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