
DC Comics
Ein Comic ist in gewisser Weise wie Schrödingers Katze: Wenn man es noch nicht kennt, steckt es voller Möglichkeiten, es kann gut oder schlecht sein – und nach den Regeln der Quantenphysik ist es also zunächst beides. Der Betrachter, in diesem Fall der Leser, beeinflusst das Ergebnis. Nun sind Erwartungen bekanntlich verschieden. Wenn man ein Cover sieht mit dem Titel Before Watchmen: Dr. Manhattan, erwartet man wahrscheinlich genug Bekanntes, das einen an Watchmen erinnert, aber auch genug Neues, das den Kauf und – noch viel wichtiger – die Lektüre des Heftes rechtfertigt.
Hier kann man dabei zusehen, wie Autor J. Michael Straczynski (Before Watchmen: Nite Owl) selbst Dr. Manhattan spielt: Er nimmt Alan Moores Geschichte von Dr. Manhattan auseinander und setzt sie neu zusammen. Herauskommt genau betrachtet eine völlig neue Erzählung, aber im Grunde ist es doch dieselbe: Jonathan Osterman, Sohn eines deutschen Einwanderers, wird vom Uhrmacher zum Atomphysiker, wird durch einen Unfall in seine Bestandteile aufgelöst und setzt sich als allmächtiger Übermensch Dr. Manhattan neu zusammen, bekämpft das Verbrechen und wird zur Superwaffe der USA. Er verliebt sich in Silk Spectre.
Was wäre wenn-Szenarien
Straczynski versucht, die Geschichte neu zu rahmen, indem er das Gedankenexperiment von Schrödingers Katze einführt und daran aufgehängt seine Hauptfigur alternative Möglichkeiten durchspielen und durchleben lässt: Was wäre, wenn er heil aus der Kammer mit dem intrinsischen Feld herausgekommen wäre? Wenn er Janey Slater geheiratet hätte? Neue Möglichkeiten tun sich auf: Was wäre, wenn der Comedian in die Kubakrise eingegriffen hätte? Und wie hätte Ozymandias gehandelt? Wie wäre es, wenn jemand den Mord an Kennedy vereitelt hätte?
Zwar wird das alles mit parallel geführten Erzählsträngen durchgespielt, aber nur, damit Dr. Manhattan am Ende alle anderen Möglichkeiten eliminieren kann. Ohne Mehrwert ist das nicht. Neu ist, dass wir erstmals sehen, was mit Jons Familie in Deutschland geschah: Seine Mutter, eine Jüdin, wurde von den Nazis bei einem Fluchtversuch erschossen. Jon versteckte sich in einer Kiste auf einer Kutsche, die der Vater führte. Die Kiste wird zum Leitmotiv: die Kammer, die ihn auflöst, ist eine, auch der Sarg, in dem seine nicht vorhandenen Überreste beerdigt werden. Zurück bleibt das Gefühl der Leere.
Warum nichts jemals endet
Weil Dr. Manhattan seine Zukunft nicht deutlich sehen kann, aber ahnt, dass eine Katastrophe bevorsteht, verbündet er sich mit Ozymandias, um durch eine neue Technologie die Menschen von Atomenergie unabhängig zu machen. Um noch mehr Abwechslung reinzubringen, stellt Straczynski einige Seiten auf den Kopf, rückt sie dann wieder zurecht und wir lesen, wie Dr. Manhattan seinen kryptischen letzten Satz in Watchmen #12 erklärt: „Nothing ever ends“:
„I mean that the question, like the world, death life and the universe itself, are all matters of perspective.“
Alle Kisten enthielten Geheimnisse und damit Universen. Jon erschafft neues Leben auf anderen Planeten, um zu sehen, was dieser neuen ‚Kiste‘ entspringt. Ein neuer Kreislauf beginnt.
Wir Leser klappen das Heft zu und sehen: Dieser Kiste namens Before Watchmen entspringt der Dr. Manhattan, den wir bereits kennen. Das Neue ist bloß eine Variation des Alten. Der Kreislauf, dem wir zusehen, ist bloß das Recycling einer bekannten Geschichte. Nichts endet wirklich, weil man es nicht enden lässt, weil DCs Superhelden-Maschine aus unendlichen Geschichten Profit generiert. Deshalb muss auch Dr. Manhattan für Watchmen beim Wort genommen werden.
Hier wird uns alter Wein in neuen Schläuchen verkauft. Leider ist aber nicht einmal der neue Schlauch etwas wert, denn ein Comic ist nun mal kein Gefäß, das man leeren und für etwas anderes wiederverwenden kann, außer man übergibt es dem Altpapier-Recycling, um wenigstens dem Papier die Chance zu geben, etwas Neues zu werden, mit dem man mehr anfangen kann und das die Lesezeit wirklich wert ist.
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